Nordsyrien: Kurdische Zwangsrekrutierungen

von N. Joxe, N. Muhana, S. Guisset und B. Fischer

(08.10.2019) Im Norden Syriens haben die Demokratischen Kräfte, die von den Kämpfern der kurdischen YPG angeführt werden, die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Doch das trifft nicht bei allen Kurden auf Zustimmung. Immer mehr Männer versuchen zu desertieren.

Die Demokratischen Kräfte Syriens, Speerspitze im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Kontrolliert wird das Militärbündnis von der kurdischen YPG. Im letzten Frühjahr wurde die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Hunderte junger Menschen empfinden das als Zwangsrekrutierung und versuchen sie zu umgehen. Sie verstecken sich, wie Muhammad. Er lebt in der Region Hasakeh. „Mein Vater ist gestorben. Ich bin der einzige, der die Familie ernährt. Meine Brüder sind jung. Ich bin verheiratet und habe selbst vier Kinder. Meine Mutter wohnt bei mir. In der Armee bekommen wir weniger als 50 Dollar Lohn. Das reicht nicht einmal für Zigaretten.“

Die Verweigerer verbringen ihre Zeit damit, den Straßensperren und Ausweiskontrollen der Asayîş, der kurdischen Polizei auszuweichen. Johar ist zwanzig Jahre alt. Auch er ernährt seine Familie. „Ich werde gesucht um Wehrdienst zu leisten. Ich muss daher heimlich zur Arbeit gehen, Gassen nehmen, in denen die Polizei nicht patrouilliert. Und wenn meine Familie etwas vom Markt braucht, schicke ich meinen Bruder um die Straßensperren zu vermeiden, wo man mich verhaften kann.“

Ungenügende Bezahlung, vermehrte Fälle von Rekrutierung Minderjähriger, immer mehr Bewohner sind gegen die Wehrpflicht. Ihr Ziel: Eine echte nationale Armee für den im Entstehen begriffenen kurdischen Staat. Ein Projekt, das von den USA unterstützt wird. Amerikanische Spezialeinheiten sind hier stationiert. Ihre militärische Unterstützung ist für die Kurden unentbehrlich. Die YPG will eine Armee von 100.000 Mann aufstellen.

Mohammad Ismail, Offizier der Syrischen Demokratischen Kräfte, sagt: „Viele Recherchen zeigen, dass alle jungen Leute eine Rekrutierung ablehnen, hier genauso wie in allen Ländern. Aber in dieser Region hat in den letzten neun Jahren Krieg geherrscht. Wir befinden uns im Krieg und alle müssen ihren Beitrag leisten.“

Den ursprünglich freiwilligen Militärdienst zur Pflicht zu machen, für einige kurdische Oppositionsparteien zeigt das den Autoritarismus der YPG. Sie prangern den Einzug neuer Rekruten und das demokratische Defizit der autonomen Verwaltung Westkurdistans an.

Abu Mahmoud: „Ich habe drei Söhne, die gesucht wurden, um in die Armee eingezogen zu werden. Zwei mussten ins Ausland und der dritte wurde bei einer Kontrolle festgenommen und zwangsrekrutiert.“

Sollte die Zahl der Deserteure weiter ansteigen, droht die allgemeine Wehrpflicht letztendlich eine Kluft zwischen der Bevölkerung und der neuen Armee zu schaffen.

ARTE-Beitrag: Nordsyrien - Kurdische Zwangsrekrutierungen. ARTE Sendung vom 8. Oktober 2019. Reportage von N. Joxe, N. Muhana, S. Guisset, B. Fischer. Abschrift. Quelle: https://www.arte.tv/de/videos/092816-000-A/nordsyrien-kurdische-zwangsrekrutierungen/

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