Halil Savda

Halil Savda

Türkei: „Der Widerstand für Gerechtigkeit und Frieden muss gewaltfrei sein“

von Halil Savda

Auf einer Veranstaltung von Connection e.V., DFG-VK Frankfurt und dem DFG-VK Bildungswerk Hessen referierte Halil Savda zum bewaffneten Widerstand in der Türkei und Syrien, zur aktuellen Situation in der Türkei, zu Perspektiven des Zivilen Ungehorsams und zur Kriegsdienstverweigerung. Wir dokumentieren sein Skript. (d. Red.)

Bewaffnete Übergriffe oder andere Formen von Gewalt auf der ganzen Welt sind die ersten Nachrichten des Tages. Gewalt ist das Hauptproblem von heute wie gestern. Und immer wieder ist die grundlegendste Frage: Ist die Sprache mächtiger oder die Sprache der Macht? Ich werde heute nach Antworten darauf suchen.

Gewalt ist die schrecklichste Handlung, die der Mensch gelernt hat und die jeden Tag reproduziert wird. Sowohl Frauen als auch Männer entwickeln mit großem Aufwand Mittel um Gewalt anzuwenden. Krieg ist eine Form der Barbarei.

Mit der Kriegsbegeisterung, mit Kriegstrommeln und Todesfallzahlen wird jeder Wille ausgelöscht. Was geschieht, wenn der eigene Wille verschwindet? Erst entsteht ein Versprechen. An wen? Dies ist manchmal ein Regierungsgremium, manchmal ein Generalsekretär, manchmal eine Person. Diese Person oder Gruppe führt Krieg im Namen der Gesellschaft. Sie beansprucht, den Krieg für die Gesellschaft fortzuführen. Aber dies ist eine Lüge; Krieg bringt der Gesellschaft nichts. Krieg macht entweder die Menschen arm oder gewissenlos.

Der eigene Wille verschwindet, alle übertragen ihre Rechte an den Führer. Warum passiert das? Es gibt dafür zwei Gründe: 1. Weil die Person glaubt, dass es ein lebensnotwendiger Krieg ist und der Führer die beste Strategie habe; 2. Selbst wenn die Person dagegen ist, kann ihre Stimme aufgrund der Kriegsbegeisterung nicht gehört werden oder sie wird zum Stillschweigen gebracht. Daraus entwickelt sich eine Herrschaft der Angst.

Ist Krieg oder Gewalt wirklich lebensnotwendig? Meiner Meinung nach NEIN! Das schlimmste und dreckigste von Menschen Gemachte ist Krieg und Gewalt!

Was ist die wichtigste Handlung, um eine Gesellschaft aufrechtzuerhalten? Um den Fortbestand einer Gesellschaft sicherstellen zu können, ist es meiner Meinung nach am wichtigsten einen Konsens herzustellen. Heutzutage ist der größte und starrste gesellschaftliche Machtapparat der Staat. Und der Staat ist ein schwieriger Machtapparat.

Was aber einen Staat aufrecht erhält, ist nicht der Machtapparat, sondern Konsens. Wenn der Konsens aufgekündigt wird, wird sich der Machtapparat in dem betreffenden Staat auflösen, egal wie stark er ist. Und es ist auch nicht möglich, auf Dauer eine Gesellschaft über solch einen Machtapparat zusammenzuhalten. Das geht nicht in einer Familie, und es funktioniert auch nicht in einer Gesellschaft.

Um sich gegen die Kräfte des Staates zu stellen, sollte jedoch nicht ein neuer Machtapparat entstehen. Was passiert denn, wenn dies geschieht? Insbesondere hat das zwei Folgen: 1. Wird die Grausamkeit und Macht legitimiert, mit der das Monopol von Tyrannei und Gewalt aufrechterhalten wird und 2. wird der bestehende Machtapparat imitiert. Beides wirft eine Gesellschaft zurück, es wäre eine Sackgasse. Dafür gibt es viele Beispiele.

„Syrien: Ein Land wurde zerstört“

Das aktuellste Beispiel können wir heute in Syrien sehen. Der Widerstand gegen das Assad-Regime war zunächst unbewaffnet und legitim! Als Assad versuchte, den Widerstand gewaltsam zu brechen, bewaffneten sich auch die Aufständischen. Im Ergebnis konnte Assad das Land nicht mehr regieren und war dazu gezwungen, sein Militär aus drei Vierteln des Landes vor allem nach Damaskus zurückzuziehen. Die Widerstandskräfte stießen nach. Und nun traten IS, al Nusra und Ahrar auf, barbarische Organisationen. Und warum ist das passiert? Weil sich Widerstand bewaffnete!

Bei einem demokratischen, unbewaffneten Widerstand hätten IS-ähnliche barbarische Organisationen nicht so herauskommen können. Selbst wenn solche Organisationen entstanden wären, hätten sie im Land nicht wirksam agieren können. All diese Toten. Und ist Assads Regierung gestürzt? Tatsächlich hat sich Assad in den letzten neun Jahren erholt und ist heute der stärkste im Land.

Wie sieht es heute in Syrien aus? Wir kennen nicht die genaue Zahl der Toten, aber es wird von 400.000 ausgegangen. Es gibt viele Kriegsversehrte, ein Drittel der Bevölkerung hat das Land verlassen und ist in Länder ausgewandert, die sie nicht kennen. Eine Gesellschaft ist korrupt geworden und verarmt. Ein Land wurde zerstört.

„In der Türkei herrscht ein ungerechtes und rassistisches Regime“

Ich sehe Ähnliches in meinem Land Türkei, obwohl die Krise in Syrien heute viel stärker ist. In der Türkei existiert ein anmaßendes, ungerechtes und rassistisches Regime. Der türkische Präsident Erdoğan arbeitet partnerschaftlich mit islamistischen Organisationen zusammen. Erdoğans mentale Struktur ähnelt sehr den Ideen von IS-ähnlichen Organisationen.

Erdoğan bezog sich von Beginn an mit seinen rassistischen und islamistischen Positionen auf die Vorgeschichte der Republik Türkei, auf das Osmanische Reich.

Angesichts dieser ersten Jahre einer nationalistischen und islamistischen Republik in der Türkei unter Erdoğan formte sich im Westen und im Osten des Landes eine Widerstandsbewegung gegen die rassistische Regierung. Dieser Widerstand war von Anfang an bewaffnet.

Es wäre falsch, den Beginn des bewaffneten Widerstandes in den von der PKK durchgeführten bewaffneten Aktionen 1984 zu sehen. Bereits seit fast 100 Jahren gibt es bewaffneten Widerstand. Es ist aber mehr eine Art Teufelskreis. Was hat die staatliche Gewalt auf der einen Seite und der bewaffnete Widerstand auf der anderen Seite der Türkei gebracht? Bis heute nichts.

Das Regime ist nach wie vor autoritär, rassistisch, unfair und tyrannisch. Der bewaffnete Widerstand hat keinen Zoll geändert am rassistischen Islam und der Republik Türkei. Die Richter hängen an den Lippen von Erdoğan.

Das Parlament ist zu einer Genehmigungsbehörde für die Beschlüsse eines einzelnen Mannes geworden. Kritik und Widerspruch sind verboten. Werden wir zu dieser Tyrannei und Gewalt schweigen? Selbstverständlich NEIN!

Der Widerstand basiert jedoch auf Gewalt und die am Rande dieses Widerstandes aktiven Organisationen haben immer wieder verloren. Aber was machen wir dann? Wir müssen versuchen, gewaltfreie Widerstandsmethoden auszuprobieren und weiterzuentwickeln.

Die AKP hat 2002 die Regierung übernommen. Es war eine Periode, in der reformistische konservative Kräfte weltweit an die Macht kamen. Es gab in dieser Zeit einige Entwicklungen bis zum Jahr 2013. Zu Newroz 2013 fand es sein Finale. Der Staat empfing Abdullah Öcalan als Gesprächspartner, den in Haft befindlichen Führer der kurdischen Bewegung und erklärte, ein Lösungsprozess sei eingeleitet worden. Hätte sich das wirklich so entwickelt, wäre das staatliche System, das auf Leugnung und Gewalt in der Kurdenfrage beruht, aufgelöst worden. Auch der bewaffnete Widerstand, der 1984 begonnen hatte, wäre zu Ende gegangen.

Und dann? Die Verhandlungen wurden im April 2015 abgebrochen.

Die Absicht und die Pläne von Erdoğan und AKP, die auf Intoleranz und Gewalt zielten, wurden 2013 von der gewaltfreien Bewegung gesehen. Öcalan und die Kurdenbewegung vertrauten jedoch weiterhin Erdoğan und dessen Partei und führten das Geschäft fort, um das Problem zu lösen. Zum ersten Mal traf sich das Anliegen von Öcalan mit der Regierungspartei und der Öffentlichkeit. Das war wertvoll. Es war eine große Chance aus der Sackgasse der türkischen Leugnung und des bewaffneten Widerstands herauszukommen. Diese Gelegenheit wurde jedoch durch gegenseitig falsche Strategien verspielt. Danach folgten schwere gewalttätige Auseinandersetzungen.

Bei den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 konnte die HDP 13% der Stimmen erhalten, ein großer Erfolg. Obwohl die AKP damit die absolute Mehrheit verlor, bliebe sie weiterhin stärkste Kraft. Die Gesellschaft belohnte die beiden Akteure und sagte "Einigt Euch". Aber sie kamen nicht zusammen. Die AKP und ihr Führer Erdoğan akzeptierten die Ergebnisse nicht; in Ankara und Suruç wurden Bomben gezündet.

Die Macht leugnete das Ergebnis und aktualisierte das Konzept des Krieges. Verhaftungen und Militäreinsätze nahmen zu. Mit einer neuen Strategie begann die kurdische Bewegung faktisch die Macht in den Städten zu übernehmen. Es wurden Schützengräben ausgehoben. Das war eine neue Situation! Kurdische Jugendliche standen bewaffnet hinter den Schützengräben. Die kurdische Jugend war begeistert und sie hatte recht. Aber Recht zu haben, erfordert keine Bewaffnung. Die bewaffneten kurdischen Jugendlichen konnten in den Städten keinen Erfolg erringen. Ganz im Gegenteil, die Gräben sind die wesentlichste Ursache für den Bruch der Bewegung und den Stillstand der letzten fünf Jahre.

In Cizre wurden von der AKP-Regierung 300 Kurden hingerichtet. In anderen Städten wie Sur, Nusaybin, Şırnak, Yüksekova, İdil, fand Ähnliches statt. Die AKP hat live im Fernsehen gesendet, wie Massaker in den Kellern von Cizre verübt wurden. Und die Gesellschaft hat nichts gegen die Gewalt der AKP-Macht unternommen. Die gegenseitige Gewalt nimmt die Gesellschaft gefangen. Wenn auf den Straßen eine Waffe explodiert, kann man niemanden mehr herausholen. Die Schützengräben zerstörten den Widerstand der kurdischen Gemeinschaft. Die zivile Protestbewegung auf den Straßen war gebrochen.

Nachdem für die AKP die Politik der Gewalt relativ erfolgreich lief, wandte sich die Regierung ihren Partnern zu. Mit dem Staatsstreich am 15. Juli zerschlug Erdoğan die Opposition. Nun stellte er die Regierung per Dekret unter seine Macht, hebelte über Dekrete mit Gesetzeskraft die Justiz aus und machte sich zum Gesetzgeber. Ungezügelte Willkür machte sich breit, eine anmaßende Regierung und Ungerechtigkeit. Erdoğan hat eine tyrannische Politik zum grundlegenden Element erst für Innen- und dann für die Außenpolitik gemacht.

Das Ergebnis ist, dass die Regierung unter Erdoğan Efrin, Serékanî und Gire Spî besetzte. Und die Angriffe auf Nordsyrien gingen weiter. Nun gibt es dort zwei aktive Militärstreitkräfte. Eine Struktur mit Namen Syrische Nationale Armee und die türkische Armee der AKP-Regierung. Ich nenne das RETAPO (Recep Tayyip Armee).

Wir alle haben die Aktivitäten der RETAPO schon in der Nacht des 15. Juli auf der Bosporusbrücke live verfolgen können. Jungen Männern wurden die Kehlen durchschnitten. Überall gab es eine Art bewaffnete Miliz. Mit der Invasion von Rojava wurde diese zivile bewaffnete Miliz unter dem Namen Syrische Nationale Armee offiziell, eine Art Bande, von dem Kommandeur der türkischen Bagdad-Mission geleitet und geschützt.

Die Hauptaufgabe von RETAPO ist es, durch Angst und Tod die Zukunft von Erdoğan sicherzustellen. Mit der RETAPO bedroht Erdoğan eindeutig die Welt. „Ich werde die Türen öffnen“, sagt er. Für wen? Für die Mörder vom IS. Damit ist die Herrschaft von Erdoğan der Beginn einer großen Bedrohung der Türkei und der Welt. So wie die Gesellschaft gestrickt ist, verschärft sich die Tyrannei. Es regiert eine Art von Teufelsmacht.

„Widerstand muss gewaltfrei sein“

Ohne Widerstand werden wir keine Gerechtigkeit, keinen Wohlstand und Frieden erreichen können. Dieser Widerstand muss jedoch gewaltfrei entwickelt werden. Er kann gewoben werden mit Empathie, guter Beobachtung, Forderungen, Geduld und Mut.

Wenn diejenigen, die Gerechtigkeit und Freiheit wollen, nicht in ihrem Widerstand die gewünschte Entwicklung aufzeigen, kann es keinen Erfolg geben. Es ist notwendig, die gewünschte Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden bereits in der Strategie des Kampfes zu leben.

Was ist das Erstaunliche der Antikriegsarbeit? Wenn ihr mich fragt: die Kenntnis der Bedeutung von Gewaltfreiheit. Drei Millionen Menschen aus der ganzen Türkei gingen im Rahmen der Gezi-Park-Proteste gegen die Regierung auf die Straße. Trotz der Gewalt der Sicherheitskräfte griffen die Aufständischen nicht zur Gewalt. Es ist großartig. Dieser Prozess begann auf dem Taksim-Platz in Istanbul, wo ein Mann ganz alleine stand und protestierte. Diese Aktion verbreitete sich über die ganze Türkei. Es war sowohl kreativ als auch effektiv. Der Widerstand wird weiter geführt. Wenn er in gleicher Intensität geführt würde, könnte er zu einer freien und demokratischen Türkei führen.

Seit 764 Wochen protestieren die Samstagsmütter auf dem Galatasaray-Platz in Istanbul für ihre Kinder und Väter. „Findet die Vermissten, die Täter sollen verurteilt werden“, mit diesen Forderungen kommen sie zusammen. Sie geben nicht auf. Sie sind hartnäckig und trotzen Verhaftung und Verbot. Die Aktion der Samstagsmütter hält die Forderung nach Gerechtigkeit aufrecht und entlarvt die Täter. Wenn es Punkte des Widerstandes in der Gesellschaft gibt, die angesichts der Tyrannei unbeugsam sind, dann haben die Samstagsmütter daran den größten Anteil.

„Drei Soldaten hielten mich am Arm fest“

Ich möchte Ihnen ein Beispiel von Gewalt und Gewaltfreiheit in der Militärkaserne aus dem Jahr 2007 schildern. Die Uhr zeigte 22.00 Uhr an. Drei Soldaten hielten mich am Arm fest und drehten mein Gesicht zur Wand. Es war im Zentralkommando in Tekirdağ. Das Wetter war extrem kalt. Ich glaube es war Februar. Ich stand drei oder fünf Minuten still. Dann fing jemand an, gegen meine Beine zu treten. Er fluchte laut. Es war der Gefängnisdirektor im Zentralkommando.

Dann schlug jemand meinen Kopf an die Wand. Meine Hände waren frei. Zwei, drei Tritte, ein oder zwei Schläge. Ich tat nichts. Ich verließ mich selbst. War das eine Art Kapitulation? NEIN.

Nachts war es stockfinster, und es waren nur vier Soldaten in der Nähe. Trotzdem rief ich: „Menschenwürde schlägt Folter" Dann zerrten sie mich in einen Raum. Sie wollten, dass ich eine Uniform trage und meine Haare schneiden lasse. Was habe ich gegen die Gewalt getan? Ich lehnte immer wieder ab. Ich habe die Uniform nicht getragen. Ich habe mich geweigert, mir vom Militär die Haare schneiden zu lassen.

2004 hatte ich meine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Als ich es tat, nahm mich das Militärgericht fest. Ziel war es mich zu brechen. Ich blieb 17 Monate im Militärgefängnis und wurde monatelang in einer Zelle gehalten. Trotzdem weigerte ich mich, Waffen und Uniform zu tragen.

„Kriegsdienstverweigerung ist ein Beispiel gewaltfreier Praxis“

Seit 1989 gibt es in der Türkei Kriegsdienstverweigerer. Sie bestehen auf Gewaltfreiheit als Widerstandsform gegen Gewalt und Repression des Staates. Das Verhalten von Kriegsdienstverweigerern ist ein wunderbares Beispiel gewaltfreier Praxis. In der Türkei ist die Kriegsdienstverweigerung eine kostbare Aktionsform des Antimilitarismus. Die Kriegsdienstverweigerer waren nicht nur gegen die Wehrpflicht und den Militärdienst. Sie hatten auch die Perspektive von Freiheit, Gleichheit und einer fairen Zukunft als Teil einer gewaltfreien Praxis.

Der Bürger als Diener, das ist in der Türkei ein Typus des militaristischen Regimes. Ein Soldat, ein Milizionär, er erhält seinen Wert als Märtyrer. Der Beginn ist wichtig; die Zeremonie zu Beginn ist wichtig; rap, rap… Stiefeltritte, Uniform, Flagge, Heimatland und Führer… Alle Fernsehsender und Zeitungen sind in den Tagen der neuen Einberufungen voll davon: „Sobald er geboren wurde, salutiert der Soldat“, heißt es. Und weiter: „Der Soldatengruß des Babys schockiert die sozialen Medien“. Da wurde ein Video von Fachleuten bearbeitet und entsprechend aufbereitet. Im Untertitel stand: „Ein Baby wurde geboren und grüßte den Mehmetçik“, den neuen Rekruten. Der auffälligste Satz des Nachrichtensprechers lautet: „Aber das ist normal, weil schon wieder ein Türke als Soldat geboren wurde.“

Es ist wie das Pathos von Franco… Sie verehren den Anführer, bewundern alles, was er sagt und sehen es als Verrat, nicht das zu tun, was der Führer sagt. Dieses Pathos geht bis in den Tod. Weil die Nation sich freut, sich für den gottähnlichen Führer der Nation zu opfern.

2010 setzten wir dem in Eskişehir einen anderen Slogan entgegen: „Jedes Baby wird nackt geboren“. Deswegen wurden wir mit fünf Personen angeklagt und vor Gericht gestellt. Wir nannten das Gericht einen Geburtshelfer und erklärten: „Ja, jedes Baby in der Türkei wird nackt geboren“. An diesem Tag wurden wir freigesprochen und wir dachten, dass wir den Spruch „Jeder Türke wurde als Soldat geboren“ als Lüge entlarvt hätten. Aber dann kam, wie oben beschrieben, das Bild des Babys als Soldat.

Das beste Beispiel für eine antimilitaristische Haltung ist der Slogan: „Wir werden nicht töten, wir werden nicht sterben, wir werden niemandes Soldat sein“. Die Kriegsdienstverweigerer wurden nicht durch Militarismus und Militärdienst besiegt. Denn trotz des Drucks des militaristischen Staates und seiner Justiz ist die Praxis der Verweigerung lebendig. Kriegsdienstverweigerer leben ihre gewünschte Zukunft als Praxis schon jetzt.

Zum Abschluss: Wie Francos Pathos überwunden wurde, so wird auch das Soldatenbaby von Erdoğan verschwinden. Du solltest wissen, jedes Baby ist nackt geboren. Und wenn es groß ist, geht es auch nackt unter die Dusche.

Halil Savda ist ein aus Cizre stammender Kriegsdienstverweigerer und Journalist. Er ist bekannt geworden durch von ihm initiierten Friedensmarsch von Roboski nach Ankara im Jahr 2012. Vor zwei Jahren musste er aufgrund von verschiedenen politischen Strafverfahren nach Zypern fliehen, wo er Asyl erhielt.

Halil Savda: Skript für die Veranstaltung am 18. November 2019 in Frankfurt am Main. Die Veranstaltung wurde organisiert von Connection e.V., DFG-VK Frankfurt und DFG-VK Bildungswerk Hessen in Frankfurt am Main. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Dezember 2019.

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