Türkei: Neues Rekrutierungsgesetz verabschiedet

von Rudi Friedrich

(14.09.2019) Am 26. Juni 2019 wurde in der Türkei ein neues Rekrutierungsgesetz1 (Kanun 7179) verabschiedet. Es löst das bisherige Militärdienstgesetz (Kanun 1111) ab und sieht vor allem eine Reduzierung der Dauer des Militärdienstes von bisher zwölf auf sechs Monate und zugleich eine Professionalisierung der türkischen Armee vor.

In der türkischen Presse wurde dieses Gesetz im Sinne von Recep Tayyip Erdoğan als ein neues Wehrpflichtmodell vorgestellt, da „die modernen Zeiten eine sehr gute Ausbildung und Spezialisierung der Soldaten erfordere“2. Nebenbei erhofft sich das türkische Militär aufgrund neu gefasster Ersatzzahlungen im Ausgleich für einen reduzierten Militärdienst und die deutlich erhöhten Freikaufssummen Einnahmen von umgerechnet jährlich 770 Mio. €.

Schon während der Kämpfe im Südosten der Türkei in den Jahren 2015 und 2016 war festzustellen, dass der Anteil der professionellen Sicherheitskräfte von Polizei, Gendarmerie und Militär sehr hoch war. Die Tageszeitung Daily Sabah weist auch darauf hin, dass im Juni 2019 weniger als die Hälfte der türkischen Armee aus Wehrpflichtigen bestand. Danach gab es bei einer Mannstärke von 670.000 Soldaten etwa 230.000 Wehrpflichtige.3 Die anderen sind Berufssoldaten in der Armee, der Gendarmerie oder anderen Heeresteilen.

Die Türkei hat derzeit die zweitgrößte Armee der NATO nach den USA.

Ersatzzahlung gegen geringere Dienstzeit

Schon in der Vergangenheit gab es immer wieder befristete Regelungen für türkische Staatsbürger in der Türkei, die Militärdienstentziehern die Möglichkeit eröffnete, ihren über Jahre hinweg illegalen Status zu legalisieren. In aller Regel war dies aber an ein Mindestalter gekoppelt. Die türkische Regierung wollte damit vor allem erreichen, dass sich die hohe Zahl der Militärdienstentzieher, die das Verteidigungsministerium im März 2017 z.B. mit ungefähr 450.000 angegeben hatte4, reduzierte.

Nun wird dies Mittel systematisch eingesetzt, um Wehrunwillige schon früher zur Zahlung eines hohen Betrages zu verpflichten. Artikel 9 des Rekrutierungsgesetzes definiert unter der Bezeichnung „Bezahlter Militärdienst“ die Regelungen für türkische wehrpflichtige Staatsbürger, die in der Türkei leben. Danach kann durch Zahlung von 31.000 TL (5.400 €) die Länge des abzuleistenden Dienstes von sechs Monaten verkürzt werden. Nach Zahlung ist dann noch ein Militärdienst von einem Monat abzuleisten. Der Antrag kann unabhängig vom Alter gestellt werden. Militärdienstentzieher und Deserteure sind von der Regelung ausgeschlossen. Aufgrund des hohen Betrages ist klar, dass dies vor allem für die reicheren türkischen Staatsbürger eine Option darstellen wird. Viele andere werden den Betrag nicht aufbringen können.

Freikaufsregelung für türkische Staatsbürger im Ausland

Weiterhin gibt es eine Freikaufsregelung für türkische Staatsbürger, die auf Dauer im Ausland leben. Wer nachweisen kann, dass er zumindest drei Jahre lang im Ausland gearbeitet hat, kann sich durch die Zahlung von ebenfalls 31.000 TL (5.400 €) von der Ableistung des Militärdienstes freikaufen. Es gibt keine Altersbegrenzung für die Zahlung. Es ist auch kein Militärdienst in der Türkei abzuleisten. Der Betrag muss allerdings in einer Summe zur Antragstellung gezahlt werden. Weitere Regelungen dazu finden sich in Artikel 39 des Rekrutierungsgesetzes.

Kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung

Nach wie vor gibt es in der Türkei kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Und klar ist, dass es für Kriegsdienstverweigerer weder aktzeptabel ist, einen Betrag für das Militär zu zahlen, noch einen Monat Militärdienst abzuleisten.

Aufgrund der für Sicherheitskräfte und Polizei seit einigen Jahren digital zugänglichen Daten über Militärdienstentzieher gibt es immer wieder Wehrpflichtige, die auf der Straße, in Hotels oder an den Grenzen aufgegriffen werden. Möglich ist auch die Festnahme bereits bei der Einreise. Oft erhalten sie hier nur eine Aufforderung (Talimat), mit dem sie angewiesen werden, innerhalb von zwei Wochen ihren Militärdienststatus zu klären. Manchmal wird ihnen aber auch der Pass entzogen, andere werden direkt dem Militär überstellt. Und wer sich einer solchen Kontrolle ausgesetzt sah und als Militärdienstentzieher gilt, hat keine Möglichkeit mehr, die Ersatzzahlung für einen verkürzten Militärdienst zu zahlen.

Fußnoten

1 www.resmigazete.gov.tr/eskiler/2019/06/20190626-1.htm

2 Daily Sabah: More cash, greater efficiency under new conscription system. 14. Juni 2019

3 ebd.

4 www.hurriyet.com.tr/gundem/bakandan-flas-bedelli-askerlik-aciklamasi-40389541

Rudi Friedrich: Türkei - Neues Rekrutierungsgesetz. 14. September 2019. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2019.

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