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Turkmenistan: Seit 2018 wurden 24 Kriegsdienstverweigerer inhaftiert

von Felix Corley

(11.09.2020) Am 3. September 2020 verurteilte ein Gericht in der Region Mary den 18-jährigen Myrat Orazgeldiyev zu einem Jahr Haft. Damit wurden seit 2018 insgesamt 24 Kriegsdienstverweigerer zu Haftstrafen verurteilt, zum Teil bereits zum zweiten Mal. Derzeit sind elf inhaftiert, die meisten von ihnen im Arbeitslager Seydi, das bekannt ist für die dort vorherrschenden harten Bedingungen und Folter.

Myrat Orazgeldiyev verweigerte den Militärdienst

Im Juni 2020 hat das Rekrutierungsbüro der Region Mary den am 6. Mai 2002 geborenen Myrat Baymukhammedovich Orazgeldiyev vorgeladen. Er legte eine schriftliche Erklärung vor, mit der er den Kriegsdienst aus Gewissensgründen verweigert und darum bat, einen alternativen zivilen Dienst ableisten zu können.

Am 1. Juli 2020 versuchten drei Vertreter des Militär, Orazgeldiyev aus seiner Wohnung zu holen. Er weigerte sich, mit ihnen zu gehen. Noch am selben Tag wurde er einer Musterung unterzogen und für tauglich erklärt.

Die Staatsanwaltschaft lud Orazgeldiyev am 14. Juli zur Vernehmung vor. Sie beschuldigte ihn eine Straftat nach Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches begangen zu haben. Demzufolge wird die Weigerung in Friedenszeiten bei den Streitkräften Dienst abzuleisten mit bis zu zwei Jahren Haft oder zwei Jahren Arbeitsdienst verfolgt. Orazgeldiyev erhielt am 20. August 2020 eine Kopie der Anklage. Die Staatsanwaltschaft übergab den Fall dem Bezirksgericht Vekilbazar, einige Kilometer östlich der Stadt Mary.

Zu einem Jahr Haft verurteilt

Am 3. September 2020 verurteilte Richter Nursahet Yusupov vom Bezirksgericht Vekilbazar Orazgeldiyev nach Artikel 219 Absatz 1 zu einer einjährigen Haftstrafe in einem Arbeitslager.

Die Zeugen Jehovahs berichteten: „Die Anhörung wurde von einem Richter durchgeführt, der eine Maske trug und sehr leise sprach. Nur 5 bis 7 Personen wurden als Besucher zugelassen. Da sie hinten im Gerichtssaal saßen, konnten sie nicht alles hören, was gesagt wurde.“ Sie ergänzten: „Als Einzelkind hat Orazgeldiyev hart als Kellner gearbeitet, um seine Familie finanziell zu unterstützen. Außerdem hilft er seiner behinderten Mutter sehr. Zweifellos wäre seine Inhaftierung eine schwere Belastung für die gesamte Familie, insbesondere unter den gegenwärtigen Umständen der Pandemie.“

Berufungen von zwei Brüdern gegen zweite Verurteilung zurückgewiesen

Am 6. August 2020 nahm das Bezirksgericht Niyazov in der Region Dashoguz den 25-jährigen Sanjarbek Saburov und seinen 21-jährigen Bruder Eldor Saburov wegen Verstoßes gegen Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches in Haft. Beide waren wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung bereits 2016 und 2017 verurteilt worden. Beide hatten dem Rekrutierungsbüro mitgeteilt, dass sie bereit seien, einen alternativen zivilen Dienst abzuleisten. Nun wurden sie erneut verurteilt, zur Höchststrafe von zwei Jahren. Ihre Berufungen wurden am 1. September 2020 vom Regionalgericht Dashoguz abgelehnt. Es wird erwartet, dass sie in das Arbeitslager Seydi gebracht werden, wo weitere acht inhaftierte Kriegsdienstverweigerer festgehalten werden

Sanjarbek Saburov hatte bereits im Frühjahr 2016 seine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Am 17. Juli 2016 wurde er bis zum Strafverfahren in Untersuchungshaft genommen. Am 9. August 2016 verurteilte ihn ein Richter nach Artikel 219 Absatz 1 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und entließ ihn aus der Haft.1

Eldor Saburov hatte 2017 seine Kriegsdienstverweigerung erklärt. Am 19. Dezember 2017 verurteilte ihn das Bezirksgericht Niyazov nach Artikel 219 Absatz 1 zu zwei Jahren Arbeitslager. Zudem wurden 20% seines Lohnes vom Staat einbehalten.2

Doppelbestrafung auch in anderen Fällen

Wie bei den Saburov-Brüdern gab es auch in anderen Fällen Doppelbestrafungen von Kriegsdienstverweigerern, wenn sie nach Verbüßung der Strafe weiter die Ableistung des Militärdienstes verweigerten.

Im Februar 2020 wurde Vepa Bahromovich Matyakubov (geboren am 19. August 1998), ein Zeuge Jehovah aus der ethnischen Minderheit der Usbeken in der nördlichen Region Dashoguz, zum zweiten Mal verurteilt.3 Wegen Kriegsdienstverweigerung erhielt er eine zweijährige Haftstrafe. Bereits im Februar 2017 war er nach Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches verurteilt worden. Gemäß dem Urteil konnte er zwar unter Auflagen zu Hause leben, die Behörden behielten aber 20% seines Lohnes ein.4

Matyakubovs älterer Bruder Dovran wurde ebenfalls zwei Mal verurteilt. Im Dezember 2010 und im Dezember 2012. Dovran wurde nach einer Amnestie im Oktober 2014 aus der Haft entlassen.5

Keine Alternative zum Militärdienst

Turkmenistan bietet keine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes an.6 Die Dauer des Militärdienstes beträgt in der Regel zwei Jahre und ist im Alter zwischen 18 und 27 Jahren abzuleisten. Artikel 58 der Verfassung von 2016 sieht den Wehrdienst für Männer als „heilige Pflicht“ an.

Männer, die aus Gewissensgründen den Militärdienst verweigern, sehen sich in der Regel der Strafverfolgung nach Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches ausgesetzt. Danach droht ihnen wegen der Verweigerung des Dienstes in der Armee in Friedenszeiten eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren oder bis zu zwei Jahre Arbeitsdienst.

Artikel 219 Absatz 2 bewehrt die Vermeidung des Dienstes in Friedenszeiten „durch Selbstverletzung oder durch Simulation einer Krankheit, durch Fälschung von Dokumenten oder auf andere betrügerische Weise“ mit einer Gefängnisstrafe von ein bis vier Jahren. Der erste bekannte Fall, in dem dieser Straftatbestand angewandt wurde, war der von Azat Ashirov, der zweite der von Serdar Dovletov.

Von 2014 an verurteilten die Gerichte Kriegsdienstverweigerer statt zu Gefängnisstrafen zu Arbeitseinsätzen oder Bewährungsstrafen.7 Seit 2018 werden aber wieder Haftstrafen ausgesprochen. 2018 wurden zwei zu zwei Jahren Haft und zehn zu je einem Jahr Haft verurteilt.8

2018 wurden insgesamt 12 Kriegsdienstverweigerer verurteilt, zwei von ihnen zu zwei Jahren Haft und zehn zu einem Jahr Haft.9 2019 gab es sieben Urteile, jeweils eines zu vier Jahren, drei Jahren und zwei Jahren Haft sowie vier zu einem Jahr Haft.10

Aufrufe zur Einführung eines alternatives Dienstes wurden ignoriert

Turkmenistan ignorierte wiederholte internationale Aufrufe im Rahmen der Wehrpflicht eine Alternative zur Ableistung des Militärdienstes einzuführen. Der letzte Aufruf erging durch eine Entscheidung des UN-Menschenrechtskomitees, die am 17. September 2019 veröffentlicht wurde.11 In der Entscheidung wird festgestellt, dass die Religions- bzw. Glaubensfreiheit bei den Kriegsdienstverweigerern Juma Nazarov, Yadgarbek Sharipov und Atamurad Suvhanov durch ihre Haft verletzt wurde.

Nazarov und Sharipov wurden 2012 inhaftiert, Suvhanov zum zweiten Mal 2013. Sie haben im August 2013 ihre Beschwerden an das Menschenrechtskomitee gerichtet. Alle drei beschwerten sich auch über „unmenschliche und entwürdigende Behandlung“ nach ihren Verhaftungen. Das Menschenrechtskomitee betonte, dass Turkmenistan verpflichtet ist, Nazarov, Sharipov und Suvhanov Gutmachung für die Verletzung ihrer Rechte nach dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu leisten und unter anderem „ihre Vorstrafe zu löschen und ihnen eine angemessene Entschädigung zu gewähren. Der Vertragsstaat ist auch dazu verpflichtet in der Zukunft ähnliche Verletzungen zu vermeiden.“12

Das Komitee fordert Turkmenistan daher nachdrücklich auf, seiner Verpflichtung nachzukommen, ähnliche Verstöße zu vermeiden, indem beispielsweise das Gesetz geändert wird und „die Möglichkeit einer Ausnahme oder eines alternativen Dienstes mit zivilem Charakter eingerichtet wird“.13

Die Zeugen Jehovahs berichteten von einem weiteren Kriegsdienstverweigerer, Arslan Begenchov, der am 20. Juni 2018 seinen Fall dem UN-Menschenrechtskomitee vorlegte. Er war im Januar 2018 in Chrajew zu einem Jahr verurteilt worden. Er war der erste verurteilte Kriegsdienstverweigerer in Turkmenistan seit 2014.14

Gegenwärtig sind acht Kriegsdienstverweigerer im Arbeitslager Seydi Labour Camp

Mit der Verurteilung von Orazgeldiyev sind zum 11. September 2020 elf Kriegsdienstverweigerer der Zeugen Jehovas bekannt, die sich in Haft befinden. Acht von ihnen befinden sich unter harten Haftbedingungen im Arbeitslager Seýdi in der Wüste der Region Lebap. Die anderen werden voraussichtlich in dies Lager überstellt werden.

Die Adresse: 746222 Lebap velayat, Seýdi, uchr. LB-E/12, Turkmenistan.

In seiner Beschwerde an das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen hatte der ehemalige Gewissensgefangene Aibek Salayev die Bedingungen im Arbeitslager Seýdi als „unmenschlich“ bezeichnet. Er stellte fest, dass das Lager „bekannt sei für die Überbelegung, die rauen klimatischen Bedingungen, die knappen Vorräte an Nahrungsmitteln, Medikamenten und Körperpflegemitteln sowie für Tuberkulose, Hautkrankheiten, hohe Sterblichkeitsrate und körperlichen Missbrauch.“ Ihm sei von Aufsehern auch Vergewaltigung angedroht worden.

Das UN-Menschenrechtskomitee stellte in einer Entscheidung vom 18.4.2019 (CCPR/C/125/D/2448/ 2014) fest, dass die Rechte von Salayev und eines anderen Zeugen Jehovahs verletzt wurden.15

Beschwerde an die Vereinten Nationen

Am 20. Mai 2020 reichten die Zeugen Jehovahs für 19 verurteilte Kriegsdienstverweigerer eine Beschwerde bei der Arbeitsgruppe über Willkürliche Haft der Vereinten Nationen ein. Elf von ihnen haben bereits Haftstrafen verbüßt, die anderen sind gegenwärtig im Arbeitslager Seydi inhaftiert.

Liste der bekannten inhaftierten Kriegsdienstverweigerer

Elf Kriegsdienstverweigerer – allesamt Zeugen Jehovahs – verbüßen Gefängnisstrafen. Acht wurden nach Artikel 219 Absatz 1 des Strafgesetzbuches (Nichtbefolgung der Einberufung), Ashirov und Dovletov nach Artikel 219 Teil des Strafgesetzbuches und Atahanov nach Artikel 344 Absatz 2 des Strafgesetzbuches verurteilt.

1) Eziz Atabayev, geboren am 15. März 1998, wurde am 19. Dezember 2018 vom Stadtgericht Dashoguz zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Bezirksgericht Dashoguz abgewiesen.

2) Bahtiyar Amirjanovich Atahanov, geboren am 17. Juni 2000, wurde am 15. Juli 2019 vom Stadtgericht Tejen nach Artikel 344 Absatz 2 zu vier Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Regionalgericht Ahal abgewiesen.

3) Azat Gurbanmuhammedovich Ashirov, geboren am 7. Januar 1999, wurde am 31. Juli 2019 vom Bezirksgericht Abadan nach Artikel 219 Absatz 2 zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Stadtgericht Aşgabat abgewiesen.

4) David Andronikovich Petrosov, geboren am 15. Mai 2001, wurde am 30. September 2019 vom Bezirksgericht Kopetdag in Aşgabat nach Artikel 219 Absatz 1 zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Stadtgericht Aşgabat abgewiesen.

5) Selim Yolamanovich Taganov, geboren am 22. März 2001, wurde am 3. Oktober 2019 vom Bezirksgericht Berkararlyk in Aşgabat nach Artikel 219 Absatz 1 zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Stadtgericht Aşgabat abgewiesen.

6) Serdar Nurmuhammedovich Dovletov, geboren am 2. Dezember 1993, wurde am 12. November 2019 vom Stadtgericht Bayramali nach Artikel 219 Absatz 2 zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Regionalgericht Mary abgewiesen.

7) Kamiljan Ergeshovich Ergashov, geboren am 27. Juni 2001, wurde am 13. Januar 2020 vom Bezirksgericht Niyazov nach Artikel 219 Absatz 1 zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Regionalgericht Dashoguz abgewiesen.

8) Vepa Bahromovich Matyakubov, geboren am 19. August 1998, wurde am 17. Februar 2020 vom Bezirksgericht Boldumsaz nach Artikel 219 Absatz 1 zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Die Berufung wurde vom Regionalgericht Dashoguz abgewiesen.

9) Sanjarbek Davranbekovich Saburov, geboren am 12. August 1994, wurde am 6. August 2020 vom Bezirksgericht Niyazov nach Artikel 219 Absatz 1 zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Es ist seine zweite Verurteilung. Die Berufung wurde vom Regionalgericht Dashoguz abgewiesen.

10) Eldor Davranbekovich Saburov, geboren am 9. April 1999, wurde am 6. August 2020 vom Bezirksgericht Niyazov nach Artikel 219 Absatz 1 zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Es ist seine zweite Verurteilung. Die Berufung wurde vom Regionalgericht Dashoguz abgewiesen.

11) Myrat Baymukhammedovich Orazgeldiyev, geboren am 6. Mai 2002, wurde am 3. September 2020 vom Bezirksgericht Vekilbazar nach Artikel 219 Absatz 1 zu einem Jahr Arbeitslager verurteilt. Er legte gegen das Urteil Berufung ein.

Fußnoten

1 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2220

2 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2363

3 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2547 

4 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2318 

5 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2009

6 www.forum18.org/archive.php?article_id=2244

7 www.forum18.org/archive.php?article_id=2244

8 https://de.connection-ev.org/article-2789

9 https://de.connection-ev.org/article-2443

10 https://de.connection-ev.org/article-2522

11 CCPR/C/126/D/2302/2013. 5. November 2019. https://undocs.org/CCPR/C/126/D/2302/2013

12 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2519

13 ebd.

14 http://www.forum18.org/archive.php?article_id=2363

15 www.forum18.org/archive.php?article_id=2476

Felix Corley, Forum 18: Turkmenistan - 24th conscientious objector jailed since 2018. 11. September 2020. Quelle: http://www.forum18.org/archive.php?country=32. Der Beitrag wurde in Auszügen veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2020

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