Meine Geschichte

Ein eritreischer Flüchtling berichtet

von Filmon Debru

(19.10.2017) Meine Geschichte beginnt zu der Zeit, als ich mich entschied, mein Land zu verlassen. Ich war Student an der Technischen Fakultät in Eritrea. Es war keine normale Universität. Es war vielmehr wie eine Militärschule. Statt eines Dekans hatten wir einen Oberst. Die Schule hatte ihr eigenes Gefängnis für Studenten, die sich - allgemein gesprochen - „falsch „verhielten, die „falschen Fragen“ stellten oder ungerechten Anweisungen der Regierung nicht nachkamen. Oder es traf Studenten, deren Verhalten als rebellisch angesehen wurde. Wir hatten einen Zugführer, einen Kompanieführer, einen Brigadegeneral. Wir waren so etwas wie Reservisten.

Es geschah während meiner Zeit am Technischen Institut: Ich erlebte, dass einige meiner Kommilitonen eingesperrt wurden, weil sie sich nicht an einem Karneval beteiligen wollten. Für mich persönlich stellte das keine Schwierigkeit dar, da es mir nichts ausmacht, in der Öffentlichkeit zu tanzen. Aber einige meiner Kommilitonen gehörten einer christlichen Sekte an, die ihnen untersagte, das in der Öffentlichkeit zu tun. Deshalb weigerten sie sich und wurden genau deswegen ins Gefängnis gesteckt.

Nach meiner Zeit an dieser Schule sollte ich zu der Einheit in der Armee gehen, der ich zugeteilt worden war, so wie das auch allen anderen geschah. Aber der Nationaldienst in Eritrea bedeutet nicht wirklich, der eigenen Nation zu dienen. Er ist nur eine Ausrede dafür, dass die Bevölkerung versklavt wird. Die Tätigkeiten dort sind nicht nur etwas für Monate, sondern werden zu Tätigkeiten, die für immer ausgeführt werden sollen. Aber ich hatte nicht die Absicht, für den Rest meines Lebens auf einer Farm, die einem Oberst gehört, Dienst zu leisten oder für einen General ein Haus zu bauen. Es war nicht die körperliche Belastung, die mich schreckte. Es war mehr die Propaganda, die Gehirnwäsche, die langsam aber sicher dazu führt, dass Männer nur noch ein Abbild ihrer selbst sind, die nicht mehr wirklich selbst denken können, sondern für jede Kleinigkeit von den Vorgesetzten abhängig sind.

Wegen meiner Weigerung hatte ich keine Papiere um frei in der Stadt zu leben, in der ich mein ganzes Leben gewesen war. Ich konnte auch nicht offen in einem anderen Teil von Eritrea leben. Ich musste mich in meinem eigenen Land verstecken. Selbstverständlich wollte ich raus, weil es immer sein konnte, dass sie mich bei zufälligen Razzien aufgreifen, die jeden Tag von der Polizei oder Militärpolizei durchgeführt werden. Einige Monate lang gelang es mir, aber am Ende wurde ich verhaftet und war für eine kurze Zeit im Gefängnis. Nur durch die Hilfe eines engen Freundes, der zur rechten Zeit an der richtigen Stelle war, gelang es mir, mit falschen Angaben zu meiner Person herauszukommen, bevor sie meine wahre Identität überprüfen konnten, um festzustellen, dass ich zur Armee hätte gehen sollen.

Auch wenn es nur für eine kurze Zeit war, wurde ich Zeuge der erschreckenden unmenschlichen Behandlung von Gefangenen im Gefängnis. Ich habe Schwierigkeiten, darüber zu sprechen. Aber das machte meinen Entschluss sicherer, das Land so bald wie möglich zu verlassen. Dieses Mal hatte ich Glück gehabt. Das nächste Mal würde ich die Sonne vielleicht für eine lange Zeit nicht mehr sehen können.

Ich arbeitete als Techniker, reparierte hier einen Computer, dort ein Mobiltelefon oder irgendein anderes elektronisches Gerät. Ich machte das gerade so lange, bis ich das Land verlassen konnte. Im März 2012 hatte ich endlich alles Nötige beisammen. Mit einer Gruppe von EritreerInnen erreichte ich nach drei Tagen und drei Nächten die sudanesische Grenze. Wir kamen sicher bis ins Flüchtlingslager Shagarab in der Nähe von Kassala.

Ich hatte nicht die Absicht, nach Europa oder in die USA zu gehen. Ich wollte Afrika nicht verlassen. Obwohl im Sudan als zweite Sprache arabisch gesprochen wird, wusste ich, dass es für mich kein sicheres Land war, weil auch dort der eritreische Geheimdienst aktiv ist. Und ich hörte davon, dass Eritreer, die in die Hauptstadt Khartum kommen wollten, gefangen genommen wurden und am Ende in einem eritreischen Gefängnis saßen.

Ich wollte weiter und in Uganda oder Angola ein neues Leben beginnen, wo ich sicher sein und als Techniker arbeiten konnte oder vielleicht sogar mein eigenes Geschäft eröffnen könnte. Das war zumindest meine Hoffnung und mein Plan. Aber wie das Schicksal es wollte, wurde ich aus diesem Flüchtlingslager heraus von Angehörigen des Stammes Rashaida1 entführt und an Beduinen in Ägypten verkauft.

Die wollten Geld, insgesamt 33.500 US-Dollar. Und wer nicht zahlte, würde sterben. Wenn du Glück hast stirbst du schnell durch eine Kugel. Wenn du Pech hast, wirst du immer wieder gefoltert, bis dein Körper aufgibt. Und diese Summe war für meine Familie viel zu viel. Schon 3.000 wären so viel gewesen, dass die finanzielle Situation meiner Familie ruiniert worden wäre. Aber glücklicherweise sammelten Freunde, Verwandte und Bekannte so schnell wie möglich Geld, um das Lösegeld zahlen zu können. Während all dieser Zeit wurden wir immer wieder gefoltert. Es waren Foltertechniken, die ich bis dahin nur in Hollywood-Filmen gesehen hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich sie wirklich erleben würde. So geschah es, dass ich meine Finger verlor, meine Hände nicht mehr benutzen konnte. Ich konnte kaum noch laufen. Nach drei Monaten gelang es meiner Familie, das Geld zusammenzubringen und mich auszulösen. Ich wurde freigelassen, um die Grenze nach Israel zu überqueren.

Und obwohl ich kaum laufen konnte, hatte ich glücklicherweise einige andere Flüchtlinge an meiner Seite, die mich über die Grenze trugen. Ich kam dann in Israel in das Krankenhaus Soroka. Dort wurde mir das Leben gerettet. Ich wurde drei Monate lang behandelt. Aber danach wurde mir mitgeteilt, dass ich entlassen werden müsste, da niemand die Kosten für meine Behandlung übernehmen würde. Obwohl weitere Operationen notwendig waren, konnte ich nicht im Krankenhaus bleiben. Ich zog nach Petah Tikva um, einem Vorort von Tel Aviv, wo ich für eineinhalb Jahre lebte und versuchte, eine Organisation zu finden, die mir finanzielle Hilfe für die Operationen geben könnte. Es gab verschiedene Möglichkeiten, aber keine davon schien wirklich schnell genug möglich zu sein.

In dieser Zeit gab es ein Projekt, um die Aufmerksamkeit auf den Menschenhandel auf dem Sinai zu richten. Es war von einer eritreischen Aktivistin ins Leben gerufen worden, Meron Estefanos, und Prof. Mirjam van Reisen hier aus Brüssel. Sie brauchten zwei Personen, die über ihre Erfahrungen Aussagen machen konnten. Und so sagten sowohl ich selbst wie auch mein Freund Daniel zu, das zu tun. Im Dezember 2013 kamen wir dafür nach Brüssel. Wir machten unsere Zeugenaussagen, aber wegen der sich verschlechternden Situation der Flüchtlinge in Israel wollten wir nicht nach Israel zurückkehren. Wir wollten ganz sicher nicht dorthin zurückkehren.

Wegen der Verletzungen an meinen Händen brauchte ich so bald wie möglich eine Operation. Und ich hatte die Idee, dass es vielleicht möglich sein könnte, in Schweden Asyl zu beantragen. Vielleicht könnte ich dort Hilfe erhalten. Und obwohl ich wusste, dass es aufgrund des Dublin-Abkommens nur geringe Chancen gab, weil damit das Land für einen Asylantrag zuständig ist, in das ich zuerst eingereist war, also Belgien, hoffte ich auf eine Art von Ausnahme. Es funktionierte nicht. Nach einigen Monaten wurde ich zurück nach Belgien gebracht.

Zu meinem Glück gab es aber eine deutsche Familie, die meine Geschichte las und mir helfen wollte. Sie organisierten einen Anwalt und über humanitäre Ausnahmeregelungen gelang es ihnen, mich nach Deutschland zu holen, mich operieren zu lassen und sogar das Asylverfahren in Deutschland durchzuführen.

Ich beantragte gleich nach meiner Ankunft in Deutschland Asyl. Die Operationen wurden von dieser wunderbaren Familie bezahlt. Sie nahmen mich in ihre Familie auf.

Klar, hier beginnt die nächste Herausforderung eines Lebens als Flüchtling. Sich in die Gesellschaft zu integrieren, in der man am Ende landet. Der erste Schritt ist, die Sprache zu lernen. Im Anschluss an die Operation konnte ich in neun Monaten den Abschluss des Sprachprogramms machen, so dass ich diesbezüglich wenigstens formal an einer Universität hätte studieren können. Aber aufgrund weiterer Kriterien wurde mir der Zugang zu einem Studium verwehrt. Ich hatte keine ausreichenden Zeugnisse aus Eritrea. Es war schwierig.

Ich probierte es über eineinhalb Jahre. Nichts klappte. Am Ende konnte ich an einem Programm von Siemens teilnehmen, einem Ausbildungskurs für Flüchtlinge. Ich wurde dafür zugelassen. Schließlich wurde mir eine Ausbildung für Softwareentwicklung angeboten, die ich derzeit absolviere. Aber das bedeutet, dass ich einiges noch einmal machen muss. Ich habe jetzt ein Jahr hinter mir und brauche noch anderthalb Jahre, um die Ausbildung abzuschließen.

Meiner Meinung nach könnten Flüchtlinge viel einfacher integriert werden. Es wäre doch gut, wenn sie relativ schnell arbeiten könnten, nicht mehr die öffentlichen Kassen belasten und aktive Mitglieder der Gesellschaft hier würden. Aber die Integration wird blockiert durch riesige Hürden. Das bedeutet jedoch verlorene Zeit sowohl für die Flüchtlinge wie auch für das Land, weil die Regierung weiterhin für die Unterstützung des Flüchtlings aufkommen muss.

In meinem Fall hätte ein einfacher Test den Verlust von anderthalb Jahren beheben können. Wenn ein Flüchtling angibt, dass er z.B. Biologie studiert hat, dann sollte es einfach einen Test geben und darüber die Möglichkeit, zu einem Studium zugelassen zu werden. Der Test würde zeigen, ob der Flüchtling weiß, wovon er spricht. Das wäre doch besser, als auf bestimmte Abschlüsse und Zertifikate zu bestehen.

Zum Mythos, dass die gegenwärtigen eritreischen Flüchtlinge nur WirtschaftsimmigrantInnen seien und sie nur ein besseres Leben haben wollen, möchte ich auch noch etwas anmerken. Es gab in den 1980er Jahren in Eritrea eine große Hungersnot. Aber selbst zu dieser Zeit sind nicht so viele EritreerInnen nach Europa gekommen. Allein diese Tatsache widerlegt diesen Mythos. Niemand möchte sein Land verlassen und schon gar nicht auf diese Weise, über einen wochenlangen gefährlichen Weg.

Wenn es nach mir ginge, wäre ich lieber hier obdachlos als eine gutbetuchte Person in Eritrea. Dort würde ich nicht wissen, ob die Sonne, die ich genieße oder die frische Luft, die ich atme, die letzte sein wird und ich schon morgen in einem Untergrundgefängnis lande. So sehr ich auch meine Freunde, meine Nachbarn, die Gemeinschaft vermisse: So lange dieses Regime an der Macht ist, wird Eritrea ein Land sein, in das ich niemals zurückgehen kann.

Fußnote

1 Die Rashaida sind ein Nomadenvolk, das in Eritrea lebt, sowie den Küstenstreifen vom ägyptischen asch-Schalatin über den Gebel-Elba-Nationalpark bis nach Sudan besiedelt hat.

Filmon Debru: My personal story. Redebeitrag auf der Konferenz „Eritrea and the Ongoing Refugee Crisis“, 19. Oktober 2017 in Brüssel, Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in der Broschüre „Eritrea: Ein Land im Griff einer Diktatur – Desertion, Flucht & Asyl“, 3. Mai 2018. Herausgegeben von Förderverein PRO ASYL e.V. und Connection e.V.

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