Wir können in diesem Krieg nur gewinnen, wenn wir uns einig sind, NICHT zu kämpfen

Redebeitrag von Olga Karatch, Belarus, zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung 2023

(15.05.2023) Heute findet ein einzigartiger Krieg statt. Es ist kein Krieg um ein Territorium: Russland hat so große Gebiete, dass es dumm wäre, einen Krieg um neue Gebiete zu führen.

Nein, dies ist ein zivilisatorischer Krieg, es ist ein Krieg um Werte. Er ist ein Test für unsere Widerstandskraft und unseren Mut: Werden wir unsere Ansichten und Werte aufgeben oder nicht?

Heute setzen sich Männer und Frauen aus verschiedenen Nationen und Ländern gemeinsam gegen den Krieg und für den Frieden in der Ukraine ein. Heute überreichen wir die Unterschriften von Friedensbefürwortern an die Europäische Kommission mit der Forderung, den Männern aus Belarus - und nicht nur aus Belarus - zu helfen, sich nicht an diesem Krieg zu beteiligen.

Heute ist es eine große Ehre für mich, Teil einer großen weltweiten Antikriegsbewegung zu sein, Teil der #ObjectWarCampaign zu sein.

Heute ist es eine Inspiration für mich zu sehen, wie viele Menschen mit ihren Unterschriften unseren Wunsch unterstützen, NICHT zu den Waffen zu greifen, NICHT zu kämpfen, NICHT in der Armee zu dienen und NICHT Teil eines militaristischen Staatssystems zu werden.

Wir können in diesem Krieg nur gewinnen, wenn wir uns einig sind, NICHT zu kämpfen, wenn wir NICHT die Sprache des Krieges und des Hasses sprechen, wenn wir NICHT der Vorstellung zustimmen, dass Menschenrechte nichts bedeuten, dass sie nicht universell sind.

Wir können in diesem Krieg nur gewinnen, wenn wir unsere Werte nicht aufgeben, wenn wir nicht dem Narrativ zustimmen, dass ein echter Mann nur ein Mann mit einer Waffe in der Hand ist, wenn wir nicht dem Narrativ zustimmen, dass ein Mann ohne Waffen schwach ist.

Wir können in diesem Krieg nur gewinnen, wenn wir nie wieder dazu zurückkehren, Frauen zu Objekten zu machen und sie als Trophäe im Krieg zu betrachten, die keine Stimme haben und keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess.

Wir können diesen Krieg nur gewinnen, wenn wir NICHT zustimmen, dass alle anderen Themen, wie der Kampf für die Ökologie und gegen den Klimawandel, der Kampf gegen Atomkraftwerke, der Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter, für die Rechte der LGBTs, für die Rechte anderer Minderheitengruppen, nicht wichtig sind, weil ein Krieg im Gange ist.

Damit sind wir nicht einverstanden! Wir weigern uns, auf der Seite der Kriegsbefürworter zu stehen!

Männer in Belarus haben das Recht, nicht zu den Waffen zu greifen und nicht in die Armee einzutreten!

Männer in Belarus haben - genau wie Frauen - das Recht, NEIN! zur Militarisierung und Bewaffnung zu sagen!

Frauen in Belarus haben das Recht, sie selbst zu sein und ihr Leben so zu gestalten, wie sie es wollen, und nicht als Kriegstrophäe oder Staatssklavin von Lukaschenko!

Belarusische Männer, vor allem die, die den Krieg hassen und aus Gewissensgründen nicht in die Armee eintreten wollen, sind echte Männer!

Heute sind die Männer in Belarus Repressionen ausgesetzt, weil sie sich weigern, zu den Waffen zu greifen.

Etwa 400 Strafverfahren sind wegen Militärdienstentziehung eingeleitet worden. Leider kennen wir bis heute nicht die Namen unserer Helden, der Männer, die die Kraft gefunden haben, NEIN zur Armee und NEIN zum Waffendienst zu sagen, trotz des Terrors, trotz der Repressionen, trotz des Drucks ihrer Angehörigen und trotz der Androhung von Folter.

Seit dem 21. Februar 2023 droht in Belarus einer Person, die aus der Armee desertiert, die Todesstrafe, auch wenn die Anklage gegen diese Person als "Hochverrat" bezeichnet wird.

Der eigentliche Hochverrat in unserem Land besteht jedoch darin, dass man sich bereit erklärt, zur Armee zu gehen, zu den Waffen zu greifen und am Krieg teilzunehmen.

Der wirkungsvollste Beitrag Belarus zur Beendigung des Krieges in der Ukraine wäre die NICHT-Beteiligung Belarus an diesem Krieg auf der Seite Putins.

Und Belarus wird sich nicht an diesem Krieg beteiligen, wenn Lukaschenko keine Soldaten für den Krieg hat.

Die Männer in Belarus wollen nicht in die Armee eintreten, und sie brauchen Hilfe in ihrem Kampf um das Recht, den Militärdienst zu verweigern. Wir brauchen humanitäre Korridore für belarusische Kriegsdienstverweigerer und Deserteure. Wir brauchen politisches Asyl für sie, und wir brauchen Unterstützung - jede Unterstützung, die wir bekommen können: politisch, finanziell, über Informationsaustauch und organisatorisch.

Wir müssen uns um die pazifistische Gesinnung der belarusischen Nation scharen und Belarussen helfen, ihre pazifistischen Ansichten auch unter dem Ansturm der beiden Militaristen Putin und Lukaschenko zu verteidigen.

Ab dem 1. Juli 2023 werden taktische Atomwaffen in Belarus stationiert, und ab dem 1. Juli 2023 wird eine neue Eskalation des Konflikts in der Region beginnen.

Ich bin hier, weil ich möchte, dass Sie uns helfen, Belarus zu helfen, eine Beteiligung am Krieg zu vermeiden.

Ich bin hier, weil ich humanitäre Korridore für belarusische Kriegsdienstverweigerer und Deserteure will.

Ich bin hier, weil es höchste Zeit ist, die UN-Resolution 1325 über die aktive Beteiligung von Frauen an friedenserhaltenden und friedensschaffenden Prozessen umzusetzen.

Ich bin hier, weil ich gegen den Krieg und gegen die Militarisierung bin.

Und ich weiß, dass Sie hier sind, weil auch Sie für den Frieden sind!

Olga Karatch, Nash Dom (Belarus): Redebeitrag zum 15. Mai 2023 in Berlin