Armenien: Kriegsdienstverweigerer werden weiterhin inhaftiert
(19.10.2004) Fünf Zeugen Jehovas wurden bislang im Oktober zu jeweils zwei Jahren Haft wegen Kriegsdienstverweigerung verurteilt. Ein sechster Gewissensgefangener erhielt eine geringere Strafe, wie am 19. Oktober Rustam Khachatryan, Anwalt der Zeugen Jehovas, dem Forum 18 aus der Hauptstadt Jerewan berichtete.
Alle sechs wurden im Mai mit anderen armenischen jungen Männern einberufen und reichten einen Antrag auf Ableistung eines alternativen Dienstes ein. Ihnen wurde jedoch mitgeteilt, dass ein solcher alternativer Dienst nicht existiere.
"Genau genommen sind diese Verurteilungen korrekt, weil alle Zeugen Jehovas einberufen wurden, bevor das Gesetz zu einem alternativen Dienst in Kraft getreten ist.", so am 19. Oktober Stefan Buchmayer, Menschenrechtsbeauftragter des Jerewaner Büros der OSZE zu Forum 18. "Dennoch: die Behörden zeigen einen bestimmten Mangel an gutem Willen, da jeder weiß, dass das Gesetz am 1. Juli in Kraft getreten ist. Außerdem ist das Recht auf einen alternativen Dienst ein wichtiges Menschenrecht - deshalb verfolgt unser Büro diese Fälle."
Am 22. Juni erklärte der Abgeordnetensprecher des armenischen Parlaments, Tigran Torosyan, der die armenische Delegation im Europarat anführt, gegenüber Repräsentanten der Zeugen Jehovas in der parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg, dass alle inhaftierten Kriegsdienstverweigerer aus dem Gefängnis entlassen würden, sobald das neue Gesetz für einen alternativen Dienst am 1. Juli in Kraft getreten sei.
Natalia Voutova, Repräsentantin des Europarates in Jerewan, berichtete Forum 18 am 19. Oktober, dass ihre Organisation die aktuellen Entwicklungen beobachte. Sie betonte, dass Armenien sich im Jahr 2001 selbst verpflichtet habe, ein Gesetz für einen alternativen Dienst zu verabschieden und alle gefangenen Kriegsdienstverweigerer freizulassen. Diese Verpflichtungen würden seit 2001 streng überwacht. Das armenische Außenministerium lehnte eine Stellungnahme zu der Frage ab, wie die jüngsten Verurteilungen mit Armeniens Verpflichtungen gegenüber dem Europarat übereinstimmten. Vladimir Karapetian von der Öffentlichkeitsabteilung des Ministeriums behauptete am 19. Oktober gegenüber Forum 18, dass die Frage "außerhalb der Kompetenzen des Außenministeriums" liege.
Die Verurteilungen dieses Monats erhöhen die Zahl der inhaftierten jungen Männer der Zeugen Jehovas auf 13, zwei weitere haben in Kürze Verhandlungen mit der selben Anklage. Die andauernden Verurteilungen und Inhaftierungen von religiösen Gewissensgefangene verletzen Armeniens Verpflichtungen gegenüber dem Europarat. Dies geschieht, nachdem das Justizministerium schließlich nach jahrelanger Weigerung die Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft anerkannt hat.
Vier der jüngst Verhafteten wurden von einem Gericht in Armavir verurteilt, 50 km westlich der Hauptstadt: Karen Hakopyan am 7. Oktober, Arsen Sarkisyan am 8. Oktober, Mher Mirpakhatyan am 13. Oktober und Artur Manukyan am 14. Oktober. Hovhanes Bayatyan wurde am 14. Oktober von Jerewans Gericht Erebuni-Nubarashen verurteilt. Alle bekamen die Höchststrafe nach Artikel 327 Abs. 1 Strafgesetzbuch: "Die Entziehung vom Militärdienst oder von einem Erziehungs- oder Militärtraining, ohne rechtskräftige Befreiung von diesem Dienst, wird mit einer Geldstrafe von 300-500 Mindestmonatsgehältern, mit Arrest von bis zu zwei Monaten oder eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft." Die verurteilten Zeugen Jehovas sind zur Zeit im Nubarashen-Gefängnis in Haft.
Ein sechster Zeuge Jehovas, Asatur Badalyan, wurde am 1. Oktober von einem Gericht in Kotaik in Zentral-Armenien zu eineinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Jedoch erlaubte ihm der Richter, zu Hause zu bleiben, weil man der Meinung war, dass sein Verhalten als Zeuge Jehovas rechtschaffen sei. Dennoch wird befürchtet, dass er am 22. Oktober wieder verhaftet wird, sagte Khachatryan gegenüber Forum 18.
Zwei weitere Zeugen Jehovas erhielten im August zweijährige Gefängnisstrafen.
Inzwischen erwartet man die Verhandlung von Grisha Kazaryan, der an 17. September verhaftet wurde und jetzt in Nubarashen festgehalten wird, für Ende Oktober. Von Nshan Shagiyan aus Jerewan wurde am 16. September eine schriftliche Erklärung verlangt, die Stadt nicht zu verlassen. Seine Verhandlung ist für den 26. Oktober in Jerewan im Mulatia-Sebustia Gericht angesetzt.
Der Anwalt der Zeugen Jehovas Khachatryan berichtete Forum 18, dass alle diese jungen Männer sowohl der Einberufungsbehörde als auch dem Generalstaatsanwalt gegenüber schriftlich erklärten, dass sie aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen keinen Militärdienst leisten könnten, jedoch zur Ableistung eines alternativen zivilen Dienstes bereit seien, der nicht der Kontrolle des Militärs unterstehe. Er sagte weiter, dass die Rekrutierungsbehörde jeden der einberufenen Zeugen Jehovas vorgeladen hätte, damit sie bestätigten, dass sie persönlich den Antrag verfasst hätten. Die Beamten der Rekrutierungsbehörde teilten dann mündlich jedem Einzelnen mit, dass kein alternativer Dienst existiere und übergaben ihre Fälle dem Staatsanwalt, woraufhin Strafverfahren eingeleitet wurden.
"Das Gesetz für den alternativen Dienst wurde zwar verabschiedet. Jedoch gibt es noch keine Struktur, um den alternativen Dienst abzuleisten." bemängelt Khachatryan. "Außerdem ist überhaupt nicht klar, ob der Dienst von wirklich ziviler Art sein wird oder nicht, wenn er eingeführt wird. Das Gesetz besagt nicht, dass der Dienst ein ziviler sein wird."
Khachatryan fügte hinzu, dass die Herbst-Einberufungen jetzt auf dem Weg seien. Bis jetzt haben vier junge Männer der Zeugen Jehovas der Rekrutierungsbehörde geschrieben, um ihr mitzuteilen, dass sie aus religiösen Gründen nicht in der Armee dienen könnten und um sich für einen alternativen Dienst zu bewerben. "Bis jetzt ist ihnen noch nichts widerfahren", bemerkte Khachatryan.
Felix Corley, Forum 18: Armenia: Promises Broken by Continuing Jailing of Prisoners of Conscience. 19. Oktober 2004. Übersetzung: Peter Gramlich. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Januar 2005.
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