Barrieren durchbrechen !

Eine Buchbesprechung

von Franz Nadler

(10.04.2010) Eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts ist nicht in Sicht und wird von den jeweiligen Regierenden offensichtlich auch gar nicht gewollt. Dazu wird die die arg lange und grausame Geschichte von Verfolgung und Vertreibung mit Religion zu einem ideologischen Konstrukt angereichert, mit dem die Hardliner den Moderaten immer mehr den Boden entziehen - hüben wie drüben. Derweilen werden, wo immer das möglich ist, neue Fakten geschaffen. Die Täter geben sich auf allen Seiten als Opfer und halten sich so die Verbündeten bei der Stange, die ihnen ideologisch beistehen, Almosen, Finanzen und die von ihnen so sehr geliebten Waffen liefern. Ohne Hilfe und der damit verbundenen Korruption von außen wäre das Programm der Gewalt schon längst zusammengebrochen - und es müsste ernsthaft nach Lösungen gesucht werden.

Die sog. internationale Gemeinschaft könnte an diesem Punkt sicherlich viel dazu beitragen, eine für alle Seiten schwierige, aber doch akzeptable Lösung zu fördern, so die Theorie. Die westlichen Staatenlenker sind eindeutige Verbündete Israels, und Israel ist auf diese Hilfe essenziell angewiesen, und deshalb könnten sie auch Einfluss auf das Geschehen nehmen, wollen aber nicht, denn auch sie benutzen die Freund-/Feindbilder für den eigenen Machterhalt. Von Deutschland, dem wohl entschiedensten Verbündeten Israels, wie das gerade wieder Westerwelle bei seinem Besuch bewiesen hat, ist da keine Hoffnung zu erwarten. Aber leider hat auch die Weltmacht No. 1 mit ihrem neuen Besen, der mit geschickter Rhetorik und viel Charisma in Kairo die arabische Welt für sich einnehmen konnte, sich dann aber von seinem israelischen Counterpart schon in der symbolträchtigen Frage der Siedlungen an der Nase herumführen ließ, kläglich kapituliert.

In diesem tödlichen Schachspiel um Macht und Staatlichkeit verkümmert die Bevölkerung zum Bauernopfer - wenn sie es mit sich machen lässt. Es sind sicherlich nicht viele, es sind zu wenig, aber es gibt sie, die sich nicht vereinnahmen lassen, aufbegehren und durch ihren Widerstand ganz andere Perspektiven entwickeln. Und viele davon, wie die Geschichte zeigt, gerade wenn sie neue „moderate“ Parteien gründen, geraten erneut in das Machtspiel und verschwinden darin. Wer als Individuum in den herrschenden Ideologien gefangen bleibt, kehrt nach einem Ausbruchsversuch logischerweise auch wieder ins Lager zurück. Der Widerstand verkommt zu einer Episode, oft gepaart mit individueller Verzweiflung.

Es gibt diese individuellen und auch kollektiven Grenzen, es gibt Gewissen, Moral und Ethik, und notfalls auch Recht und Religion, deren Werte durchaus auch gegen die Herrschenden instrumentierbar sind. Es gibt die Freiheit, die vorgegebenen Barrieren zu durchbrechen. Aber: „Allein machen sie dich ein“, sangen in den 70er Jahren Ton Steine Scherben. In Israel hat man aus dieser Situation gelernt. Das individuelle Aufbegehren, das sich vielerorts zeigt, verfestigt sich in Gruppen, insbesondere wenn es Unterstützung von außen gibt. So wie das z.B. Connection e.V. im Falle israelischer KriegsdienstverweigerInnen macht.

Die Stärke des hier vorzustellenden Buches liegt nicht in der Analyse des Konflikts. Sie findet sich zwar auch, ist aber nicht das Thema. Dafür werden gewaltfreie und antimilitaristische Analysen und Aktivitäten und auch die gegenseitige Unterstützung - und auch die von außen - an den Brennpunkten Israels und Palästinas vorgestellt. Was das Buch zwar nicht einfacher zu lesen, aber interessanter macht, ist, dass da nicht einer von außen beschreibt, sondern viele in ganz unterschiedlicher Weise und Qualität von innen und von unten. Ein Großteil der AutorInnen dürfte den LeserInnen unserer Veröffentlichungen bereits bekannt sein.

Nach einer relativ kurzen Einleitung mit dem Nahostkonflikt „von unten“ durch Sebastian Kalicha, den Herausgeber, gibt Adam Keller einen Einblick in die vielfältigen Aktivitäten des Widerstands in Israel in „Wirbelwind von unten“.

Nach dem ersten großen Abschnitt, der der Solidarität von palästinensischen, israelischen und internationalen AktivistInnen gewidmet ist, folgt eine Übersicht über die Frauen-Friedensbewegung und antimilitaristische feministische Ansätze wo u.a. New Profile/Israel vorgestellt wird. Es geht weiter mit der Erfahrung der Beobachtung der von Israel errichteten Kontrollpunkte und dem schwierigen, z.T. sogar lebensgefährlichen gewaltfreien Widerstand gegen die Mauer, der sich in Budrus und Bil´in recht unterschiedlich entwickelt hat und bei dem manchmal sogar kleinere Erfolge zu verzeichnen waren.

Dann kommt der Bereich Kriegsdienstverweigerung, mit dem einzigen Beitrag, der nicht vor Ort entstanden ist, von Endy Hagen, die in solider Ausführlichkeit die Kriegsdienstverweigerung und ihre Organisationen in Israel darstellt und nachvollziehbar analysiert. Die äußerst heterogene Bewegung des individuellen Aufbegehrens und Nicht-Mitmachens ist mit den verschiedenen Kriegen zwar immer wieder zusammengebrochen, sie hat sich inzwischen aber in verschiedenen organisatorischen Ansätzen verfestigt. Sie reicht heute von Soldaten, die über ihre Erlebnisse beim letzten Gaza-Krieg öffentlich berichten, und so die Politik in Bedrängnis bringen, über den vorgestellten Verweigerer Zohar Milchgrub, der angesichts der Verhältnisse durchaus bereit ist für seine Ansicht ins Gefängnis zu gehen, bis hin zu der immer breiter werdenden anarchistischen Bewegung, wie AnarchistInnen gegen die Mauer oder den vielleicht vom Ansatz her sogar noch radikaleren veganen und queeren Ansätzen.

Die Beiträge sind dabei durchaus nicht alle auf einer Linie, sondern weichen in ihrer Perspektive erheblich voneinander ab. Ob das Ziel nun eine Zwei-Staaten-Lösung sein soll, wie das z.B. eine der ältesten und aktivsten Organisationen, Yesh Gvul, vertritt, oder in der radikaleren utopischen Perspektive eines gemeinsamen Staates - oder ob nicht die Suche nach einer staatlichen Lösung gar keine Perspektive darstellt, sondern die Ursache des Übels, das kommt zwar in dem Buch immer wieder mal zum Vorschein, spielt aber im solidarischen Widerstand gegen die Gewalt der Herrschenden erfreulicherweise keine entscheidende Rolle.

Ich habe beim Lesen des Buches meine Kenntnisse vertiefen und verbreitern können. Viel Neues erfahren habe ich über den gewaltfreien Widerstand und die Positionen auf palästinensischer Seite und aus den fünf Beiträgen zur anarchistischen Bewegung in Israel. Auch wenn das Buch jetzt auch schon wieder etwas älter ist, kauft und lest es und helft mit, die Barrieren, die es auch hier gibt, zu durchbrechen!

Das Buch des Herausgebers Sebastian Kalicha, Barrieren durchbrechen!, ist im Buchhandel erhältlich. Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim, 2008, 277 S., ISBN 978-3-939045-08-3. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2010

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