Es ist kein Verbrechen, zu sagen: ‚Tötet nicht!‘

Kolumne zur Verurteilung wegen ’Distanzierung des Volkes vom Militär’

von Halil Savda, Türkei

(04.03.2011) Es kann sein, dass ich meine nächste Kolumne aus dem Gefängnis heraus schreiben muss!

Weshalb? Lassen Sie es mich erklären...

Die Belagerung und der Angriff Israels auf den Libanon 2006 hatte bei vielen israelischen Kriegsdienstverweigerern Empörung und Protest ausgelöst. Die Verweigerer, die ihre Beteiligung verweigerten, wurden von der israelischen Regierung verhaftet und verurteilt.

Als Anti-Kriegsaktivisten aus der Türkei erklärten wir am 1. August 2006 vor der israelischen Vertretung in Istanbul öffentlich unsere Position auf diesen Angriff und die ungerechten Verhaftungen: „Der andauernde Konflikt, die Blockade und die Besatzung können auf antimilitaristische Weise beendet werden. Aber erst, wenn das Humankapital der Kriege ausgetrocknet wird, ist es möglich, dies zu beenden. (...) Der Weg zur Verhinderung von Kriegen führt über die Ablehnung, sich als Humankapital zur Verfügung zu stellen. Wie fordern die sofortige Freilassung von Pasteur sowie die sofortige Beendigung der Blockade und des Angriffs gegen den Libanon. Wir rufen jeden und jede zur Ablehnung des Kriegsdienstes auf.“

Aufgrund dieser Erklärung bin ich verhört und vor Gericht gestellt worden. Schließlich hat mich am 2. Juni 2008 das Gericht in Istanbul-Sultanahmet in meiner Abwesenheit auf Grundlage des Artikels 318 wegen „Distanzierung des Volkes vom Militär“ zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt.

Da das Urteil des Gerichts vom Berufungsgerichts bestätigt worden ist, kann diese Gefängnisstrafe weder in eine Geldstrafe umgewandelt werden, noch kann das Absitzen der Strafe verschoben werden. Das bedeutet: Ich werde vom Militär – getragen von einer patriarchalen Geisteshaltung - für 5 Monate festgehalten werden.

Diejenigen, die die Definition der Straftat „Distanzierung des Volkes vom Militär“ aus Mussolinis Italien übernommen haben, haben die Gleichsetzung des Lebens mit Gewalt zur Prämisse ihrer Justiz und als unhinterfragbar erklärt. Artikel 318 widerspricht internationalem Recht, den Menschenrechten und der Meinungsfreiheit. Er muss unverzüglich aufgehoben werden.

In einer Welt, in der soziales Handeln, Sicherheit, Freiheit und Existenz mit Gewalt gleichgesetzt wird, ist es leider nur natürlich, dass ein entgegengesetztes Verständnis von sozialem Handeln, Sicherheit und Existenz mit Gefängnis und Folter bestraft wird.

Artikel 318 steht für die Finsternis, die Hrant Dink, Priester Santoro und die Friedensaktivistin Pippa Bacca ermordet hat... Diejenigen, die aus dieser Finsternis heraus Mörder erzogen haben, stellen sich unter den Schutzschirm dieses Artikels.

Während diejenigen, die mit massiver militaristischer Sprache das Volk von Frieden und Freiheit distanzieren, jeden Tag aufs Neue gelobt werden, ist meine Friedensbotschaft in der Sprache der Unschuld und Gewaltlosigkeit bestraft worden.

Die Befreiung des Menschen von der Gewaltverherrlichung und von der Gewalt selbst ist an die Notwendigkeit einer Moral der Freiheit und des Friedens gebunden. Wer eine Moral für Freiheit und Frieden vertritt, wird sich bemühen, das Volk von Gewalt und Waffen zu distanzieren.

Der Straftatbestand „Distanzierung des Volkes vom Militär“ widerspricht jeder Vernunft. Die Militärdienstausbildung basiert auf der Fiktion einer offensiven Männlichkeit. Bei dieser Konstruktion geht es um Kraft, Risiko, Destruktivität, Siegen und Gehorsam. Im Militärdienst wird der Körper des Mannes als Illusion neugeschaffen. Ein Körper, der nicht ermüdet, nicht friert, keine Angst empfindet und nicht schläft... In Artikel 318 des türkischen Strafgesetzbuchs geht es genau darum.

Dies zu kritisieren oder abzulehnen wird als Straftat bewertet. Der Artikel, der diesen Straftatbestand beschreibt, verbietet die Verteidigung des Rechts auf Leben, Gedanken und Gewissen.

Wir müssen alle Formen von Gewalt und alle Organisationen von Gewalt bis zum Schluss kritisieren und die Möglichkeit zur Kritik haben. Beim Militärdienst handelt es sich nicht um ein Dogma, ein Tabu oder etwas Heiliges. Beim Militärdienst handelt es sich um etwas Weltliches, Kritisierbares, Hinterfragbares, Veränderbares...

In der Türkei stellt der Militärdienst leider immer noch ein Tabu dar! Aus diesem Grund und weil ich versuche, dieses Tabu zu brechen, werde ich in naher Zukunft verhaftet werden...

Erschienen in: Tageszeitung Yeni Özgür Politika, 4. März 2011. Übersetzung aus dem Türkischen: Meral Çiçek. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2011.

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