Tal Mitnick

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Israel: Es gibt keine militärische Lösung - Meine Verweigerungserklärung

von Tal Mitnick

(26.12.2023) Dieses Land hat ein Problem - es gibt zwei Nationen, die eine unbestreitbare Beziehung zu diesem Ort haben. Aber selbst mit aller Gewalt in der Welt könnten wir das palästinensische Volk oder seine Beziehung zu diesem Land nicht auslöschen, so wie auch das jüdische Volk oder unsere Beziehung zu diesem Land nicht ausgelöscht werden kann. Das Problem hier ist die Vorherrschaft, der Glaube, dass dieses Land nur einem Volk gehört. Mit Gewalt kann die Situation nicht gelöst werden, weder von der Hamas noch von Israel. Es gibt keine militärische Lösung für ein politisches Problem. Deshalb weigere ich mich, in eine Armee einzutreten, die glaubt, dass das eigentliche Problem ignoriert werden kann, unter einer Regierung, mit der Trauer und Schmerz nur fortgeführt werden.

Am siebten Oktober erlebte die israelische Gesellschaft ein Trauma, das es in der Geschichte des Landes bislang nicht gegeben hat. In einer schrecklichen Invasion ermordete die Terrororganisation Hamas Hunderte von unschuldigen Zivilisten und entführte Hunderte weitere, Familien wurden in ihren Häusern ermordet, junge Menschen wurden während eines Raves massakriert und 240 Menschen wurden in den Gazastreifen entführt. Nach dem Terroranschlag begann ein Rachefeldzug nicht nur gegen die Hamas, sondern gegen das gesamte palästinensische Volk. Wahllose Bombardierungen von Wohnvierteln und Flüchtlingslagern im Gazastreifen, volle militärische und politische Unterstützung für die Gewalt der Siedler im Westjordanland und politische Verfolgung in einem noch nie dagewesenen Ausmaß innerhalb Israels. Die Realität, in der wir leben, ist eine gewalttätige Realität. Nach Ansicht der Hamas und auch nach Ansicht der IDF (Israelischen Verteidigungsstreitkräfte) und der politischen Führung ist Gewalt der einzige Weg. Der Kreislauf „Auge um Auge“ wird fortgesetzt, ohne über eine wirkliche Lösung nachzudenken, die uns allen Sicherheit und Freiheit bringen würde. Das führt nur zu mehr Töten und Leid.

Ich weigere mich zu glauben, dass mehr Gewalt Sicherheit bringen wird. Ich weigere mich, an einem Rachefeldzug teilzunehmen. Ich bin in einem Haus aufgewachsen, in dem das Leben heilig ist, in dem Diskussionen geschätzt werden, in dem Diskurs und Verständnis immer vor gewaltsamen Maßnahmen kommen. In der Welt voller korrupter Interessen, in der wir leben, sind Gewalt und Krieg ein weiteres Mittel, um die Unterstützung für die Regierung zu erhöhen und Kritik zum Schweigen zu bringen. Wir müssen die Tatsache anerkennen, dass nach der wochenlangen Bodenoperation in Gaza am Ende des Tages Verhandlungen, eine Vereinbarung, die Geiseln zurückgebracht haben. Eine Militäraktion führte dazu, dass Geiseln getötet wurden: Aufgrund der verbrecherischen Lüge, dass es in Gaza „keine unschuldigen Zivilisten gibt“, wurden Geiseln, die eine weiße Fahne schwenkten und auf Hebräisch riefen, erschossen. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie viele ähnliche Fälle es gab, die nicht untersucht wurden, weil die Opfer auf der falschen Seite des Zauns geboren waren. Die Leute, die „keine Verhandlungen mit der Hamas“ fordern, lagen einfach falsch. Diplomatie, politische Bemühungen und ein Politikwechsel sind der einzige Weg, um weitere Zerstörung und Tod auf beiden Seiten zu verhindern.

Die Gewalt, die die Armee anwendet und im Laufe der Jahre angewendet hat, schützt uns nicht. Der Kreislauf der Gewalt ist in der Tat ein Kreislauf - die Gewalt der Armee, wie die jeder Armee, produziert mehr Blut. In der Praxis ist sie nichts anderes als eine Armee der Besatzung und ihrer Aufrechterhaltung. Im Moment der Wahrheit hat sie die Bewohner*innen des Südens und des ganzen Landes im Stich gelassen. Es ist wichtig, zwischen den einfachen Menschen und den Generälen und Selbstbedienern, die an der Spitze des Systems sitzen, zu unterscheiden: Keiner der einfachen Menschen hat beschlossen, die Hamas zu finanzieren, keiner von uns hat beschlossen, die Besatzung aufrechtzuerhalten, und keiner von uns hat beschlossen, Tage vor der Invasion Truppen in das Westjordanland zu verlegen, weil Siedler*innen beschlossen haben, in Huwara eine Sukka zu bauen. Und jetzt, nach einer langjährigen Politik, die immer zur Explosion führen konnte, sind wir diejenigen, die in den Gazastreifen geschickt werden, um zu töten und getötet zu werden. Wir werden nicht geschickt, um für den Frieden zu kämpfen, sondern im Namen der Rache. Ich habe mich vor dem Krieg geweigert, zur Armee zu gehen, aber seit er begonnen hat, bin ich mir meiner Entscheidung immer sicherer.

Vor dem Krieg hat die Armee die Siedlungen bewacht, die mörderische Belagerung des Gazastreifens aufrechterhalten wie auch den Status quo der Apartheid und der jüdischen Vorherrschaft im Land zwischen Jordan und Meer. Seit dem Ausbruch des Krieges gibt es keine Forderung nach einem wirklichen Politikwechsel im Westjordanland und im Gazastreifen, nach einem Ende der weit verbreiteten Unterdrückung des palästinensischen Volkes und des Blutvergießens oder nach einem gerechten Frieden. Wir sehen das Gegenteil: eine verstärkte Unterdrückung, die Verbreitung von Hass und die Ausweitung der faschistischen politischen Verfolgung innerhalb Israels.

Der Wandel wird nicht von korrupten Politikern hier oder von den Führern der Hamas kommen, die ebenfalls korrupt sind. Er wird von uns kommen - von den Menschen beider Nationen. Ich bin fest davon überzeugt, dass das palästinensische Volk kein böses Volk ist. Genauso wie bei uns, wo die große Mehrheit der Menschen ein gutes und sicheres Leben führen, einen Platz für ihre Kinder zum Spielen nach der Schule haben möchte und am Ende des Monats über die Runden kommen wollen, wollen dies auch die Palästinenser*innen. Am Vorabend des siebten Oktobers lag die Unterstützung für die Hamas in Gaza bei einem Tiefstand von 26%. Seit dem Ausbruch der Gewalt ist sie deutlich stärker geworden. Um einen Wandel herbeizuführen, muss eine Alternative geschaffen werden, eine Alternative zur Hamas und eine Alternative zu der militaristischen Gesellschaft, in der wir leben. Dieser Wandel wird eintreten, wenn wir anerkennen, dass das palästinensische Volk seit Jahren leidet und dass dieses Leid die Folge der israelischen Politik ist. Mit der Anerkennung müssen auch Gerechtigkeit, Veränderungen und der Aufbau einer politischen Infrastruktur einhergehen, die auf Frieden, Freiheit und Gleichheit beruht. Ich möchte mich nicht an der Fortsetzung der Unterdrückung und der Fortsetzung des Kreislaufs des Blutvergießens beteiligen, sondern direkt für eine Lösung arbeiten, und deshalb verweigere ich. Ich liebe dieses Land und die Menschen hier, denn es ist meine Heimat. Ich opfere und arbeite dafür, dass dieses Land ein Land ist, das die anderen respektiert, ein Land, in dem man in Würde leben kann.

Tal Mitnick: There is no military solution – a statement of refusal, 26. Dezember 2023. https://twitter.com/prem_thakker/status/1739730931726864786?t=T3hxMKquWElHzLw6k2eHJA&s=19

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