Hillel Rabin. Foto: Oren Ziv, www.972mag.com

Hillel Rabin. Foto: Oren Ziv, www.972mag.com

Israel: Kriegsdienstverweigerin Hillel Rabin berichtet aus der Haftzeit

von Oren Ziv

(27.11.2020) Hillel Rabin verbrachte 56 Tage im Militärgefängnis, weil sie sich dem Dienst in den israelischen Streitkräften verweigerte. Hier berichtet sie von der Zeit hinter Gittern, von Gesprächen mit anderen Insassinnen und jungen Israelis über die Besatzung.

Als Hallel Rabin vor zwei Wochen vor dem Gewissenskomitee der israelischen Armee stand, dem Ausschuss, der darüber entschied, ob sie wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung erneut ins Gefängnis muss, war die seltsamste Frage, die sie erhielt: „Wären Sie mit dem Tragen der Uniform einverstanden, wenn sie rosa wäre?“

„Die Farbe ist nicht mein Problem“, antwortete sie. „Ich habe ein Problem mit dem Tragen einer Uniform der Armee – unabhängig davon welche Armee es ist.“ Als Kriegsdienstverweigerin befand sich Rabin zu der Zeit immer noch im Militärgefängnis, weil sie sich aufgrund der Besatzungspolitik der Armee dem Dienst verweigert hatte. Am 20. November endete Rabins vierter Aufenthalt im Militärgefängnis. Einen Tag später wurde sie von der Armee offiziell aus dem Dienst entlassen, so wie sie es wollte. Insgesamt hatte sie 56 Tage hinter Gittern verbracht.

Die 19-jährige Rabin aus dem Kibbuz Harduf im Norden Israels wurde das erste Mal im August 2020 inhaftiert, nach einer Anhörung vor dem Gewissenskomitee, bei dem sie eine Befreiung beantragt hatte. Sie wurde vor Gericht gestellt und zwei Mal zu Haftzeiten verurteilt, auch während des jüdischen Neujahrsfestes Rosh Hashanah. Nach der Freilassung letzte Woche hatte Rabin gedacht, dass sie erst einmal nach Hause kann, bevor sie erneut inhaftiert wird. Aber dann klingelte ihr Telefon und sie erhielt von ihrem Anwalt Asaf Weitzen die Mitteilung, dass das Komitee ihren Antrag angenommen habe und sie entlassen werde.

Wie sie bereits im Oktober Orly Noy berichtet hatte, wurde Rabin von einer Mutter erzogen, die Staatsbürgerkunde unterrichtete. Daher begann sie schon in jungen Jahren Fragen zur Realität in Israel zu stellen. Mit 15 Jahren wusste sie bereits, dass sie nicht zur Armee gehen könne, da „dies gegen meine grundlegendsten Ideale verstößt und ich eine solch gewalttätige Politik nicht unterstützen kann.“

Wie bist Du ins Gefängnis gekommen? Wie sah Deine Verweigerung aus?

„Am Tag meiner Einberufung kam ich im Rekrutierungsbüro an und wusste, dass ich ins Gefängnis gehen würde. Das war mein Ziel, aber ich habe nicht wirklich verstanden, wie ich es anstellen sollte. Ich lief das Verfahren zur Einberufung durch, wusste aber nicht, an wen ich mich wegen meiner Verweigerung wenden sollte. Ich setzte mich dann auf einen Stuhl und verkündete laut: ‚Sie müssen jemanden holen, der mir sagen kann, was ich machen soll. Ich bin eine Kriegsdienstverweigerin. Ich muss ins Gefängnis. Ich werde keine Soldatin werden.’

Schließlich brachte mich eine nette Frau in ein Büro, wo ich ein Papier unterschrieb, in dem stand, dass ich mich weigerte zu dienen. Ich fand es amüsant, dass mein Ziel darin bestand, ins Gefängnis zu gehen, und dass ich am richtigen Ort sein würde, sobald ich dort war.“

Rabin wurde zunächst zu sieben Tagen Haft verurteilt und in die Frauenabteilung vom Gefängnis Nr. 6, einem Militärgefängnis im Norden von Israel, überstellt. „Es war der längste und anstrengendste Tag meines Lebens“, erzählt sie. „Ich habe drei Tage gebraucht, um zu verstehen, was los war, wie ich auf die Gefängnisaufseherinnen reagieren soll und wie ich mich bewegen kann. Ich lernte schnell.“

Wie war Deine Zeit im Gefängnis?

„Es war eine verrückte Erfahrung. Ich war in einer Zelle mit einer Grenzpolizistin, die an einem Checkpoint gedient hatte, zwei Frauen, die sich geweigert hatten, als Überwachungsbeauftragte Dienst zu leisten, einer Frau, die ihren Kommandanten angegriffen hatte und einer Militärpolizistin, die sich unerlaubt vom Dienst entfernt hatte. Wir waren insgesamt sechs Personen.

Die erste Frage von ihnen war: ‚Warum bist Du hier?‘ Zögernd antwortete ich: ‚Ich bin eine Kriegsdienstverweigerin.‘ Daraufhin stellten sie alle bekannten Fragen: ‚Bist Du eine Linke? Bist Du pro-palästinensisch?‘ Von Beginn an lernte ich, was es heißt, als Kriegsdienstverweigerin zu leben. Jedes Mal, wenn ich eine neue Gruppe von Mädchen traf oder ins Gefängnis zurückkehrte, wurde das Thema kontrovers und sehr ausführlich diskutiert.“

Haben die Soldatinnen und Kommandeurinnen im Gefängnis mit Dir über Deine Entscheidung gesprochen?

„Es gab keine, die nicht von meiner Geschichte gehört hatte. Sogar die Kommandeure waren interessiert. Es gab eine Beamtin, die mir sagte, dass sie meine Entscheidung schätze und mich sogar lobte. Das war eines der wichtigsten Gespräche für mich: Jemand aus dem System verstand, warum ich das tat, was ich tat und achtete es.

Ich habe mit niemandem im Gefängnis gekämpft. Es war eine Übung für mich, für meine Fähigkeit, sozial flexibel zu sein. Ich war in einer Position, in der die Leute um mich herum nicht mit mir übereinstimmten und in der ich mich unwohl fühlte – es war fast bedrohlich – aber ich konnte damit umgehen.“

Rabin wurde nach fünf Tagen freigelassen und nach Hause geschickt, wo sie die nächsten zweieinhalb Wochen verbrachte. „Es dauert länger, sich an zu Hause zu gewöhnen. Im Gefängnis ist alles geregelt und dann wirst du plötzlich freigelassen. Das ist verwirrend“, sagt sie. „Das Schwierigste an der Rückkehr nach Hause ist der erneute Gang ins Gefängnis.“

Nachdem sie erneut zum Rekrutierungsbüro nach Tel Hashomer ging, wurde sie zu weiteren zwei Wochen Gefängnis verurteilt – eine Woche wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung und eine Woche wegen ihrer unerlaubten Abwesenheit. Wie andere Kriegsdienstverweiger*innen erhielt sie nach jedem Aufenthalt im Gefängnis eine neue Einberufung und wurde dann wieder verurteilt.

Wie hast Du die Zeit verbracht?

„Ich habe insgesamt acht Bücher gelesen, darunter ‚Feminismus ist für alle!‘ (von Bell Hooks) und ‚Gewaltfreiheit, erklärt für meine Kinder‘ (von Jacques Semelin). Meine Freundinnen Hillel und Tamar, auch Kriegsdienstverweigerinnen, sagten mir halb im Scherz, dass meine Hausaufgabe darin bestände, Ähnlichkeiten zwischen Feminismus und Kriegsdienstverweigerung zu finden.“

Vor ihrem dritten Gefängnisaufenthalt beschloss Rabin mit Hilfe von Mesarvot an die Öffentlichkeit zu gehen. Mesarvot ist ein Netzwerk, das Personen und Gruppen zusammenbringt, die den Dienst in der israelischen Armee aus Protest gegen die Besatzung verweigern. „Zunächst dachte ich, dass es keinen wirklichen Grund gab, mich an die Medien zu wenden. Ich hatte darauf gehofft, dass ich vom Gewissenskomitee aus der Armee entlassen werde. Ich dachte, dass ich nur ein Mal im Gefängnis sein müsste“, erklärt sie.

Rabin hatte schon vor ihrer Einberufung versucht, sich an das Gewissenskomitee zu wenden, das aber ihren Antrag prompt ablehnte. Während ihrer Haft legte sie Berufung ein und wartete darauf, dass das Militär die Gründe für ihre Inhaftierung darlegte. Als dies immer länger dauerte, beschloss sie, sich an die Medien zu wenden. Nach ihrem dritten Gefängnisaufenthalt organisierte Mesarvot eine Demonstration vor dem Rekrutierungsbüro zur Unterstützung von Rabin. Sie wurde zu 25 Tagen Haft verurteilt. Zwischen der dritten und vierten Haftzeit wurde ein neuer Termin vor dem Gewissenskomitee angesetzt.

Welche Unterschiede gab es vom ersten zum zweiten Gewissenskomitee?

“Das zweite Mal dauerte es länger. Sie gingen tief in die Details. Das erste Komitee hatte mir Fragen gestellt, um zu beweisen, dass meine Verweigerung politisch begründet war und nicht auf pazifistischen Motiven gründete.“ Hintergrund dafür ist, dass die israelische Armee historisch einen Unterschied macht zwischen Wehrpflichtigen, die beweisen können, dass sie „unpolitische Pazifist*innen“ sind und anderen, die aus Gründen verweigern, die die Armee als „politisch“ ansieht, wie insbesondere die Ablehnung der israelischen Besatzung. Trotz der Schwierigkeiten des Verfahrens, haben Wehrpflichtige, die nachweisen können, dass sie unter die erste Kategorie fallen, höhere Chancen, vom Dienst ausgenommen zu werden.

„Bei der zweiten Anhörung des Komitees fragten sie mich, warum ich keine Armeeuniform trage. Ich erklärte, dass ich von zu Hause gekommen sei und ich als Kriegsdienstverweigerin auch keine Uniform erhalten habe. Selbst wenn sie verlangen würden, dass ich eine tragen sollte, würde ich niemals eine Uniform anziehen. Sie versuchen zu verstehen, ob die Verweigerung politische Gründe oder vom Pazifismus motiviert ist, wie jemand auf Gewaltsituationen reagiert und welchen Lebensstil eine Person pflegt.“

Was hast Du geantwortet?

“Beim zweiten Mal war ich besser vorbereitet. Fünfzig Tage Gefängnis, tägliche Gespräche zu diesem Thema und Interviews mit den Medien halfen mir, mich deutlicher auszudrücken.

Ich sagte, ich sei nicht bereit, in irgendeiner Art und Weise an einem System teilzunehmen, dessen wesentlicher Kern darauf auf Kämpfen und gewaltsamer Unterdrückung beruht. Ich glaube, dass sich dies ändern muss und dies ist mein Weg, diese Änderungen herbeizuführen. Es ist mein kleiner Beitrag. Ich fügte hinzu, dass ich mein ganzes Leben lang Vegetarierin bin, gebrauchte Kleidung kaufe und gegen Ausbeutung, Kapitalismus und Sexismus bin.“

Hast Du das Gefühl, dass das Komitee verstanden hat, dass sich eine pazifistische Verweigerung, die Gewalt ablehnt, auch gegen die Besatzung ist?

„Es ärgert sie. Es ist schwer für sie. Es sind vier Angehörige der Armee und ein Professor für Staatsbürgerkunde. Alle von ihnen sind 50 Jahre alt oder älter. Sie haben in ihrem Leben hohe Positionen in der israelischen Armee erreicht. Ich bin ein 19-jähriges Mädchen, das ihnen sagt: ‚Das ist nicht in Ordnung.‘ Ich bin mir nicht sicher, ob es für sie persönlich schwer ist. Ich würde auch nicht in die Armee in der Schweiz gehen. Aber ich lebe hier und soll hier in einer Armee dienen, die diese Taten begeht. Ich lehne die Besatzung ab, weil sie gewalttätig, unterdrückerisch und rassistisch ist.“

Während der zweiten Anhörung zeigte der Ausschuss Rabin ein Foto, wie sie an dem Protest von Mesarvot vor dem Rekrutierungsbüro teilnahm, der kurz vor ihrer dritten Verhaftung stattgefunden hatte. Das Foto zeigte sie mit einem Schild mit der Aufschrift „Mesarvot“ und „Die Verweigerung der Besatzung ist Demokratie“.

“Sie fragten mich, was das bedeuten solle”, sagt Rabin. „Ich antwortete, dass es legitim sei, sich Themen zu widersetzen, die zu Tabuthemen geworden sind, dass es demokratisch ist, sich ihnen zu widersetzen.“

Aktive von Mesarvot teilten +972 mit, dass das Gewissenskomitee es im letzten halben Jahr deutlich erschwert hat, eine Ausnahme wegen Kriegsdienstverweigerung zu erhalten oder auch nur eine Begründung, wenn Anträge abgelehnt wurden. Die Organisation hofft, dass Rabins Entlassung zu einer Änderung dieser Politik führen wird.

Ist es möglich, mit Teenagern über die Besatzung zu sprechen?

„Es ist keine Frage des Alters. Ich muss nicht warten, bis mein halbes Leben hinter mir liegt, um für meine Prinzipien einzutreten. Es ist keine schlechte Sache, wenn ich laut sage, dass es eine legitime Option ist, zum Gewissenskomitee zu gehen und dass es für jede und jeden möglich ist, darüber nachzudenken. Selbst das Gefängnis ist nicht so schlimm. Es ist anstrengend, aber ich bin nicht herausgekommen mit dem Gefühl von Angst oder sterben zu wollen.“

Welche Reaktionen gab es nach Deiner Freilassung?

„Viele Menschen aus Israel und der ganzen Welt meldeten sich bei mir. Einige verfluchten mich. Andere schrieben, dass meine Verweigerung sie inspiriert und es Hoffnung gemacht hat, dass es Teenager gibt, die sich für das einsetzen, woran sie glauben. Palästinenser*innen schrieben mir, nachdem meine Geschichte in der Türkei veröffentlicht worden war. Jemand aus Tulkarem schrieb, dass er meine Handlung schätze und hoffe, dass wir eines Tages zusammen Kaffee trinken und über das Leben sprechen könnten.“

Hillel Rabin. “Refusing to serve in the army is my small act of making change”. In Magazin +972, 27.11.2020. Übersetzung: Rudi Friedrich, https://www.972mag.com/hallel-rabin-idf-refusal-conscientious-objector/

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