Belarus: Menschen, die sich geweigert haben, zur Armee zu gehen, wenden sich gegen das Regime

von Nash Dom

(16.06.2022) Im Zusammenhang mit dem Beginn der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine ist die Zahl der Bürger der Republik Belarus, die ein Visum für die Republik Polen beantragen, stark angestiegen. Die Anträge werden nicht nur in Belarus selbst, sondern auch außerhalb des Landes gestellt. Und eines der Länder, in denen sich viele Belarussen aufhalten, ist Georgien. Hauptgründe dafür sind:

Die Zunahme der Repressionen gegen die Zivilbevölkerung. Zudem stehen einige der repressiven Maßnahmen bereits in direktem Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Belarussen werden wegen ihrer Antikriegshaltung verfolgt;

Entscheidungen der Eltern umzuziehen, weil sich die Situation in den Bildungseinrichtungen verschärft und ihren Kindern zwangsweise die Ideologie des diktatorischen Regimes auferlegt wird;

Verweigerung des Militärdienstes, weil sich das Lukaschenko-Regime an der russischen Militärkampagne beteiligt.

Während die ersten beiden Gründe schon seit August 2020 vorliegen, ist der dritte Grund den meisten Menschenrechtsorganisationen völlig neu. Natürlich gab es in Belarus auch vorher schon Kriegsdienstverweigerung und Desertion, aber nicht in einem solchen Ausmaß.

Die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine, die von Diktator Lukaschenko unterstützt wird, veranlasste viele Männer, das Land zu verlassen. Einige hatten bereits Briefe vom Verteidigungsministerium erhalten, andere beschlossen, nicht zu riskieren, zum Rekrutierungsbüro einbestellt zu werden.

Wir beschlossen, einigen der Verweigerer Fragen zu stellen, z.B. Igor (Name aus Sicherheitsgründen geändert), der sich jetzt in Georgien aufhält. Er verließ Belarus am 11. März 2022, fast unmittelbar nach Beginn der Kämpfe in der Ukraine.

„Warum ich gegangen bin? Ich glaube, ich bin nicht der Einzige, der eine sehr schnelle Entscheidung getroffen hat. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass ein Mensch, der ein Gewissen hat, lange Zeit für eine Entscheidung benötigen würde, ob er auf der Seite unseres gemeinsamen Feindes mit den Ukrainern – Russland – in den Krieg ziehen oder das Land verlassen will. Aber ich schließe nicht aus, dass einige von Angst getrieben waren. Es ist auch normal, Angst zu haben, getötet zu werden. Die Ukrainer verteidigen ihre Heimat, und sie werden auf dem Schlachtfeld nicht verstehen, ob man eigentlich für sie ist, aber dazu gezwungen wurde, oder für die Russen.“

Ein Teil der jungen Männer, die Ende Februar, März oder April zur Armee einberufen wurden, bereitete sich zu diesem Zeitpunkt gerade auf ihre Diplome und Abschlussprüfungen vor. Sie mussten das Studium abbrechen.

„Ich musste mein Studium abbrechen. Dieser Moment war natürlich sehr beunruhigend und ist es immer noch. Schließlich kann ich nach offiziell nur neun Jahren Ausbildung nicht in Europa studieren. Ich hoffe sehr, dass dieses Problem schnell gelöst wird und ich Hilfe bekomme. Aber noch einmal: Wenn man nicht nur von der Armee, sondern von einem echten Krieg bedroht wird, und zwar keineswegs auf der Seite des Guten, dann ist es besser, alles fallen zu lassen und zu gehen, als zum Feind eines ganzen Landes zu werden, so hochtrabend das auch klingen mag. Ein Land, das ich im Gegensatz zu Russland ein Bruderland nenne.“

Männer, junge Leute und ganze Familien verließen Belarus Ende Februar und im März in einer Notlage. Zweifellos waren die Länder, in denen Belarussen kein Visum benötigen, die beste Wahl. Offiziellen Angaben zufolge reisten in diesem Zeitraum mindestens 20.000 Belarussen nach Georgien ein, 60% von ihnen waren Männer. Georgien ist ein Land der Sonne und des Meeres, aber einiges im Alltag ist dort nicht so einfach.

„Ich hatte Glück – ich habe trotz meines Alters und meiner mangelnden Erfahrung einen Job gefunden. Aber auf jeden Fall ist es in Georgien nicht so einfach, gerade weil viele Belarussen hierher gekommen sind. Die Wohnungspreise steigen, es gibt nicht genug Arbeitsplätze für alle. Wahrscheinlich haben deshalb viele Belarussen Georgien als Zwischenstation gesehen. Aber schließlich wurden sie mit der Tatsache konfrontiert, dass es sehr schwierig ist, ein humanitäres Visum für Georgien zu erhalten – es ist schwierig, einen Termin in der Botschaft zu bekommen, und manchen wird das Visum sogar verweigert. Dabei gilt Georgien als ein freies Land…“.

Nash Dom hat die Frage der Visabeschaffung für Belarussen bereits auf höchster Ebene angesprochen, aber es gibt noch keine Optimierung und Beschleunigung des Verfahrens. Unsere Menschenrechtsorganisation bietet rechtliche Unterstützung und verfasst Petitionen für Belarussen, die aus militärischen oder politischen Gründen gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen. Dabei ist zu bedenken, dass den meisten dieser Menschen nun auch ein Strafverfahren droht.

„Nach meiner Abreise wurde mir mitgeteilt, dass gegen mich ein Strafverfahren wegen Militärdienstentziehung eingeleitet worden war. Meine Eltern erhielten den letzten Anruf Ende Mai und wurden gewarnt, dass sie mich vor Gericht bringen würden, wenn ich nicht vor dem 30. Mai zurückkäme. Es ist sehr… ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, sowohl unangenehm als auch beängstigend. Es ist beängstigend, dass jemand mit einer Waffe gegen Ukrainer vorgehen soll. Die Belarussen wollen keinen Krieg mit der Ukraine – das ist eine Tatsache. Aber man kann dazu gezwungen werden, wenn man keine Zeit hat, zu gehen oder sich zu verstecken“.

Nash Dom: People Who Refused to Go to Army Begin the „Battle“ Against the System and the Regime. 16. Juni 2022. https://news.house/44322. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2022

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