Ist die Auslieferung ukrainischer Militärdienstpflichtiger möglich?

von Rudi Friedrich

(31.10.2023) Der ukrainische Präsident Selenskij hat im September angekündigt, Auslieferungsverfahren für ukrainische Flüchtlinge betreiben zu wollen. Es geht dabei um militärdienstpflichtige Männer, die das Land verlassen haben. Es ist aber nicht wirklich klar, ob nur ein Teil dieser Männer gemeint ist, die z.B. illegal das Land verlassen haben oder Bestechungsgelder gezahlt haben, oder alle. Ohnehin ist ein Auslieferungsverfahren ein komplizierter Prozess. Nach Artikel 4 des Europäischen Auslieferungsabkommens ist eine Auslieferung wegen Militärstrafvergehen ausgeschlossen. Es ist zwar immer noch möglich, wegen anderer Straftaten ausgeliefert zu werden, aber eben nicht wegen Militärstrafvergehen.

Alle ukrainischen Staatsbürger*innen mit einem gültigen Pass, die am 24.2.2023 in der Ukraine lebten, haben derzeit in der EU einen befristeten humanitären Aufenthalt. Das ist durch die Anwendung der Aufnahmerichtlinie 55/EG/2001 geregelt, die bis März 2024 gilt. Die EU diskutiert gerade, den Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 v. 4.3.2022 um ein Jahr zu verlängern, da die reguläre Dauer des vorübergehenden Schutzes max. drei Jahre beträgt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist auch eine Aufenthaltsverfestigung, etwa durch eine Niederlassungserlaubnis, nicht möglich, da diese einen 5-jährigen Aufenthalt voraussetzt. Das kann durchaus bedeuten, dass dann die ukrainischen Flüchtlinge – mit ihnen militärdienstpflichtige Männer – in die Ukraine zurückkehren müssen.

Es gibt schon jetzt militärdienstpflichtige Männer, die vor einem Dilemma stehen. Sie sind z.B. desertiert und haben keinen gültigen Pass, andere kommen ins militärdienstpflichtige Alter und ihr Pass läuft aus. Das stellt diese Personengruppe vor ein ernsthaftes Problem: Wenn sie zum ukrainischen Konsulat gehen, drohen Strafverfahren oder zumindest die Aufforderung, sich beim Militär zu melden. Ohne einen gültigen Pass haben sie allerdings keinerlei Status in Deutschland. In diesen Fällen bleibt noch eine Asylantragstellung. Mit Blick auf die in der Ukraine bei Kriegsdienstverweigerung drohende Strafverfolgung könnten sie sich darauf berufen, dass es für sie in der Ukraine keine Möglichkeit gab, die Kriegsdienstverweigerung zu erklären. Bereits 2014 und 2015, als einige Tausend aus der Ukraine nach Deutschland kamen, wurde jedoch von deutschen Behörden und Gerichten festgestellt, dass dies kein ausreichender Grund sei, einen Schutz zu beanspruchen.

Es ist durchaus möglich, dass Polen oder andere Länder auch ohne bestehende Regelungen ukrainische Staatsbürger zur Ausreise nötigt. Verlässliche Informationen dazu haben wir nicht. Das große Problem wird voraussichtlich im Februar 2025 auftreten. Und darauf sollten wir in der Tat vorbereitet sein.

Rudi Friedrich: Ist die Auslieferung ukrainischer Militärdienstpflichtiger möglich? 31. Oktober 2023. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe November 2023

Stichworte:    ⇒ Rekrutierung   ⇒ Ukraine