Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2023

Rundbrief »KDV im Krieg« - Juni 2023

Lettland führt die Militärdienstpflicht wieder ein

von Marah Frech

(23.05.2023) Nach 14 Jahren hat das lettische Parlament die Pflicht zum Militärdienst für alle Männer wieder eingeführt. Das neue Einberufungsgesetz zu einem verpflichtenden staatlichen Verteidigungsdienst (Valsts aizsardzības dienests, VAD) wurde am 5. April 2023 verabschiedet. Der zivile Ersatzdienst ist ausschließlich in militärischen bzw. militärnahen Einrichtungen abzuleisten.1

Am 5. April 2023 hat das lettische Parlament Saeima entschieden, die Pflicht zum Militärdienst wieder einzuführen. 68 Abgeordnete stimmten dafür, 11 dagegen. Laut der lettischen Verteidigungsministerin Inara Murniece gehe diese Entscheidung auf „die neue geopolitische Bedrohung“2 nach Beginn des russischen Krieges in der Ukraine zurück. Die erste Einberufungsrunde beginnt am 1. Juli 2023, allerdings noch freiwillig. Laut des Verteidigungsministeriums haben sich bis zum Ende der Anmeldungsfrist am 15. Mai bereits 488 Personen für die erste Einberufungsrunde gemeldet3. Zum 1. Januar 2024 beginnt die obligatorische Einberufung zum Militärdienst. Der Militärdienst wird künftig durch das neue Einberufungsgesetz zu einem verpflichtenden staatlichen Verteidigungsdienst (Valsts aizsardzības dienests, VAD). Dort sind auch Ersatz- und Zivildienst geregelt.

Erst 2006 wurde die Militärdienstpflicht durch einen Beschluss des lettischen Parlaments abgeschafft. Allerdings führte Lettland bereits 2017 das Projekt „Totale Verteidigung“ ein und nahm 2021 ein Schulfach zur Landesverteidigung in das Sekundarschulsystem auf, das ab dem Schuljahr 2024/25 verpflichtend unterrichtet werden muss.4,5

Wen betrifft die neue Militärdienstpflicht?

Alle männlichen lettischen Staatsbürger, die nach dem 1. Januar 2004 geboren sind. Sie müssen sich binnen eines Jahres nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres beim Militär melden und den Militärdienst beginnen. Für diejenigen, die noch zur Schule gehen, gilt eine Frist von einem Jahr nach Erhalt des Schulabschlusses. Zudem können sich alle Männer zwischen 18 und 27 Jahren freiwillig zum Militärdienst melden.

Frauen sind von dem neuen Einberufungsgesetz nicht betroffen, können sich jedoch freiwillig beim Militär melden. Möglicherweise könnten auch sie zukünftig zum Militärdienst verpflichtet werden, sofern die lettische Regierung und das Parlament weitere Gelder bereitstellen.6 Ausgenommen von der Militärdienstpflicht sind z.B. Alleinerziehende oder Betreuer pflegebedürftiger Personen, Untaugliche, Doppelstaater bei bereits erfolgter Militärdienstableistung in einem anderen Land, verurteilte Straftäter und bestimmte Berufsgruppen der Sicherheitsdienste.

Bis 2027 werden zudem diejenigen, die im Ausland leben und dort gemeldet sind, nicht zum Militärdienst einberufen. Anschließend unterliegen auch sie der Pflicht zum Militärdienst.

Ist eine Zurückstellung möglich?

Ja. Das Lettische Gesetz nennt mehrere Zurückstellungsgründe wie z.B. das Absolvieren eines Schulabschlusses. Darüber hinaus kann der Beginn des Militärdienstes selbstständig beantragt werden, wenn der Militärdienstpflichtige in Elternzeit ist, ein Universitätsstipendium oder eine Sportkarriere vorliegt.

Ablauf der Einberufung

Sechs Monate vor der Einberufung erhalten betroffene Personen einen Einberufungsbefehl vom Verteidigungsministerium. Dabei werden Personen, die sich freiwillig gemeldet haben, vorrangig berücksichtigt und alle anderen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Das Gesetz sieht hier eine Ziehung proportional zum angegebenen Wohnsitz (Region/Gemeinde) vor. Diejenigen, die aufgrund des Zufallsprinzips nicht binnen eines Jahres nach Vollendung des 18. Lebensjahres oder innerhalb eines Jahres nach dem Schulabschluss zum Militärdienst berufen wurden, haben das Glück von der Einberufungsliste gestrichen zu werden. Für sie erfolgt allerdings die Aufnahme in die sog. Reserve nationaler Streitkräfte.

Welche Arten des Militär- und Ersatzdienstes sind vorgesehen?

Das lettische Gesetz sieht folgende Arten des Militärdiensts vor:  a) Ein elfmonatiger Dienst in den regulären Streitkräften der Nationalen Streitkräfte oder in der Nationalgarde;  b) den Dienst über insgesamt fünf Jahre in der Nationalgarde, mit jeweils mindestens 28 Ausbildungstagen pro Jahr; c) die Teilnahme an einem fünfjährigen Ausbildungsprogramm eines Leutnants der Reserve, welches für Universitätsstudenten vorgesehen ist. Dienstleistende erhalten den Status eines VAD-Soldaten sowie einen Dienstgrad.

Zudem gibt es die Möglichkeit, aus religiösen oder anderen persönlichen Überzeugungen den Dienst an der Waffe zu verweigern und einen zivilen Ersatzdienst abzuleisten. Dieser umfasst 40 Stunden pro Woche und dauert ebenfalls 11 Monate. Die Zuweisung des Ersatzdiensts erfolgt unter Berücksichtigung der Fähigkeiten, des Wohnorts und der Ausbildung des Militärdienstpflichtigen. Als Orte des Ersatzdienstes werden ausschließlich militärische oder militärnahe Einrichtungen genannt.

Was passiert bei einer Totalverweigerung?

Wer sowohl den Militärdienst als auch den Ersatz- und Zivildienst verweigert wird derzeit mit einer Geldstrafe von bis zu 350 € bestraft.

Fußnoten

1 Eng.LSM.lv (Lettischer Öffentlicher Rundfunk): Compulsory military service tob e re-introduced in Latvia. 5. April 2023. https://tinyurl.com/6euhz8st/.

2 Deutsche Welle: Ukraine aktuell. Ukraine bestellt noch mehr Radschützenpanzer in Polen. 06. April 2023. https://tinyurl.com/rkmytphx/.

3 Eng.LSM.lv (Lettischer Öffentlicher Rundfunk): Almost 500 volunteers apply for state defense service. 16.05.2023. https://tinyurl.com/yx4nv4b3/.

4 European Bureau for Concientious Objection: Annual Report. Conscientious Objection to Military Service in Europe 2021. Brussels, 21. März 2022. https://www.ebco-beoc.org/node/526/.

5 European Bureau for Concientious Objection: Latvia. https://ebco-beoc.org/latvia/.

6 Baltic News Network (BNN): Ministry: with appropriate funding military service in Latvia may become mandatory for women. 07.07.2022. https://tinyurl.com/2r34usfv/.

Marah Frech: Lettland führt die Militärdienstpflicht wieder ein. 23.5.2023. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Juni 2023

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