Kolumbien: Nicht alles ist verhandelbar!
(10.05.2010) Sie verorten sich in der Mitte der Gesellschaft. Sie entwickelten in ihren politischen Diskussionen in Kolumbien in der jüngsten Vergangenheit eine Reihe von Ideen zu Integration, Genderpolitik, Umwelt, Gerechtigkeit, Frieden und Unternehmertum. Sie bezeichnen sich selbst als unabhängig, demokratisch, alternativ oder auch pazifistisch. Wer sich davon distanzierte, wurde als radikal abgekanzelt, der die Stabilität des Staates gefährdet.
Obwohl wir auf der Basis der Gewaltlosigkeit handeln und Dialog, Frieden, Achtung vor dem Anderen und soziale Gleichheit darauf fußen, müssen wir deutlich sagen: Nicht alles ist verhandelbar – nicht alles verdient Dialog und Toleranz. Auch wenn Gewaltlosigkeit bedeutet, Respekt für das Gegenüber zu haben, so heißt das nicht, dass sie gegenüber der Ungerechtigkeit nicht hart sein kann.
Die Gewaltlosigkeit verlangt nach Vorschlägen, wie die strukturellen Ursachen der Gewalt umgewandelt werden können; das heißt in der Praxis: Der Beutezug multinationaler Konzerne, die Privatisierung von Bodenschätzen, die Herrschaft des männlichen über das weibliche Geschlecht und die Einrichtung ausländischer und nationaler Militärbasen sind indirekte Gewalttaten und als solche inakzeptabel. Eine Gesellschaft, in der es Essen gibt und die Menschen verhungern; in der es Bücher gibt und die Menschen nicht lesen können; in der es Wasser im Überfluss gibt und die Menschen kein Wasser in ihren Häusern haben; in der solche Ungerechtigkeiten entstehen wie in der unsrigen; eine Gesellschaft, die sich mit den Toten abfindet; eine Gesellschaft, die stumm bleibt angesichts der Ungerechtigkeiten: Eine solche Gesellschaft können und dürfen wir nicht tolerieren.
Toleranz bedeutet nicht, dass wir respektieren müssen, dass die staatliche Politik Ungleichheit und Privatisierungen fördert, oder dass die Bevölkerung aus Angst vor bewaffneten Gruppierungen wegzieht. Gewaltlosigkeit ist definitiv auch ein Nicht-Dulden dieser ungerechten Regierung, ein Nicht-Dulden dieser ungleichen, ungerechten und gewalttätigen Entwicklung. Es gibt Dinge, die nicht tolerierbar sind; dazu zählen die Regierenden und Politiker, welche die oben beschriebenen Lebensbedingungen in Kolumbien immer und immer wieder reproduzieren.
Die Würde des Menschen ist nicht verhandelbar. Ebenso wenig die Rechte, die die Völker zurückfordern. Die Grundbedürfnisse dürfen nicht zur Debatte stehen. Die Verteidigung des Lebens und der Freiheit dürfen nicht den Verhandlungen der Gerichtshöfe überlassen werden; die Frage, welches Wirtschaftsmodell nötig ist, um bessere Bedingungen für die Menschen zu schaffen, darf nicht den Regierenden überlassen bleiben. Vielmehr wird all dies von den Menschen selbst geschaffen, im Alltag auf der Straße eingefordert und verteidigt. Das tägliche Leben ist der Raum, in dem Gewaltlosigkeit aufgebaut wird, und nicht einfach ein argumentatives Szenario, wie es die bürgerlichen Demokraten darstellen wollen.
Die Gewaltlosigkeit darf nicht zulassen, dass die Ungerechtigkeiten weitergehen. Im Gegenteil: Sie zu bekämpfen, ist eine ethische und moralische Pflicht. Die gewaltfreien Strategien des Widerstands, des Ungehorsams, des Sich-Widersetzens, der Direkten Aktion, des kollektiven Handelns und der Mobilisierung sind notwendige Bestandteile des politischen Handelns der sozialen Bewegungen. Aus der Gewaltlosigkeit heraus sagen wir: Nicht alles ist verhandelbar! Nicht alles ist tolerierbar!
Red Juvenil Medellín: Lo que no es Negociable! 10. Mai 2010. Auszüge. Übersetzung: Hannah Germer. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2011
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