Ukraine: Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung

von Ukrainische Pazifistische Bewegung

(20.12.2020) Während der aufgrund von Covid-19 um einen Monat verschobenen Einberufungskampagne im Frühling wurden von Mai bis Juli 2020 16.460 Wehrpflichtige einberufen, im Herbst von Oktober bis Dezember 2020 waren es weitere 13.570 Wehrpflichtige. 2020 wurden also insgesamt 30.030 Personen zum Militär berufen, 88,5% im Vergleich zum Vorjahr (33.952). Das Verteidigungsministerium erklärte zugleich, dass 4.166 Wehrpflichtige im Jahr 2020 ihren 18-monatigen Militärdienst und 300 den 12-monatigen Militärdienst abgeleistet hätten und entlassen worden seien.

Nach Angaben der lokalen Verwaltungen an die Ukrainische Pazifistische Bewegung haben 2020 1.538 Kriegsdienstverweigerer einen alternativen Dienst abgeleistet. 95% von ihnen leisteten den 27 Monate dauernden Dienst ab. In den letzten Jahren wurden 20% der Anträge auf Ableistung des alternativen Dienstes wegen Fristversäumnis abgelehnt, etwa 2% wegen fehlender Beweise für religiöse Überzeugungen (wie z.B. eine Bestätigung der Mitgliedschaft in einer Kirche) und etwa 1% wegen Nichterscheinens des Antragstellers vor der lokal für den alternativen Dienst zuständigen Verwaltung. Diesen Stellen gehört üblicherweise ein Offizier des Militärkommissariats an. Es besteht zumeist aus Beamten, von denen einige Reservisten sein können.

Der alternative Dienst steht nur religiösen Verweigerern offen, die einer der Religionsgemeinschaften angehören, die im Regierungserlass von 1999 aufgeführt sind. Soldaten, die eine Kriegsdienstverweigerung entwickeln, haben keine Möglichkeit der Anerkennung. Eine freiwillige Entlassung aus dem Militärdienst ist in aller Regel nicht möglich. Dies gilt auch für Wehrpflichtige, die gegen ihren Willen einer Militäreinheit überstellt werden.

Die in der Ukraine weit verbreitete Korruption ist für viele junge Menschen nach wie vor fast die einzige Möglichkeit, den Militärdienst zu vermeiden. Pressemitteilungen der Polizei zufolge wurden im Jahr 2020 zehn Beamte der Militärkommissariate und Militärärzte verhaftet, weil sie Bestechungsgelder von Wehrpflichtigen in Höhe von 500 bis 2.700 US-Dollar angenommen hatten. Außerdem wurde im Mai 2020 der Direktor zur Wiedereingliederung von Angehörigen der Antiterror-Operationen, für gemeinsame Operationen und alternativen Dienst im Bezirk Khmelnytskyi wegen Erpressung von Bestechungsgeldern in Höhe von 1.000 US-Dollar, einer Schachtel Süßigkeiten und Kaffee für eine rückwirkende Registrierung von Anträgen zur Ableistung des Alternativen Dienstes und Sicherstellung zur Genehmigung des Antrages festgenommen.

2020 wurden drei Fälle von Selbstmord von Wehrpflichtigen in Kiew und im Gebiet Schytomyr von den Medien gemeldet. Der Psychotherapeut Mikhailo Matiash teilte in seinem Artikel in der Zeitung Dzerkalo Tyzhnia mit, dass eine Umfrage unter Berufssoldaten und Wehrpflichtigen, die an dem bewaffneten Konflikt in der Ostukraine teilgenommen hatten, eine hohe Neigung zum Selbstmord zeigte. Diese Aussage des Experten ist besonders bemerkenswert, da das Verteidigungsministerium der Ukraine nach wie vor behauptet, dass Wehrpflichtige niemals an den Kämpfen im Donbass teilgenommen haben, obwohl diese Aussage wiederholt öffentlich bestritten wurde.

Von Januar bis November 2020 wurden 3.361 Strafverfahren gegen Militärdienstentzieher aufgrund der Artikel 335 bis 337 und 407 bis 409 des Strafgesetzbuches der Ukraine registriert, darunter 18 Fälle wegen Selbstverstümmelung. Wegen ähnlicher Straftaten wurden 2019 insgesamt 190 Wehrflüchtige und Deserteure inhaftiert, 117 verhaftet, 24 in Disziplinareinheiten überstellt und 380 von Gerichten mit Geldstrafen belegt.

Im Jahr 2020 wurde der ukrainische Journalist, Pazifist und Kriegsdienstverweigerer Ruslan Kotsaba erneut in Kolomyja in der Region Iwano-Frankiwsk vor Gericht gestellt, weil er 2015 ein Video veröffentlicht hatte, in dem er zum Boykott der Mobilisierung für den bewaffneten Konflikt in der Ostukraine aufrief. Für seine öffentlichen Äußerungen gegen den Krieg wird er wegen „Landesverrats“ und „Behinderung der rechtmäßigen Aktivitäten der Streitkräfte der Ukraine“ angeklagt. Kotsaba war bereits 524 Tage in Haft und wurde 2016 freigesprochen. Sein derzeitiges Wiederaufnahmeverfahren ist das Ergebnis einer politisch motivierten Strafverfolgung und des rechtsextremen Drucks auf die Justiz. Die Staatsanwaltschaft fordert das Gericht auf, ihn zu 13 Jahren Haft und Beschlagnahmung seines Vermögens zu verurteilen, was eine eindeutig unverhältnismäßige Bestrafung darstellen würde. EBCO forderte das sofortige und bedingungslose Ende der Strafverfolgung gegen Kotsaba.1

In Kiew und Charkiw wurden junge Männer im Alter von 18 bis 19 Jahren gegen ihren Willen zur Armee gebracht, obwohl die Ableistung der Wehrpflicht vor dem 20. Lebensjahr freiwillig erfolgen soll. Die Medien berichteten von der „Jagd nach Wehrpflichtigen“ auf Straßen und in Restaurants in Ternopil, Odessa und Iwano-Frankiwsk.

Im Juli 2020 wurden die Masterstudenten Igor Drozd und Georgy Vershapidze gegen ihren Willen vom Militärkommissariat des Bezirks Desnianksy in Kiew einer Militäreinheit überstellt und illegal inhaftiert, obwohl sie das Recht hatten, sich wegen ihres Studiums zurückstellen zu lassen. Die Medien berichteten über ihre Geschichte. Ein Assistent des Kommissars für Menschenrechte des ukrainischen Parlaments (UPCHR) überprüfte das Militärkommissariat und stellte diese und weitere Verstöße fest, beispielsweise die nicht freiwillige Einberufung von Wehrpflichtigen unter 20 Jahren. Die jungen Männer wurden freigelassen.

Im August berichtete das UPCHR-Büro, dass ein Telegram-Bot eine Liste von 6.907 Soldaten veröffentlicht habe, die ihre Militäreinheiten verlassen hätten, wobei personenbezogene Daten ohne Erlaubnis verwendet wurden.

In mehreren Regionen der Ukraine wurden Corona-Tests für Wehrpflichtige eingeführt. Am 16. Dezember 2020 berichtete das Sanitätskommando der Streitkräfte, dass 3.186 Personen in den Streitkräften infiziert seien. Für den 31. Dezember wurde berichtet, dass 1.937 Soldaten krank seien. Insgesamt gab es während der Pandemie 38 Todesfälle und 12.026 Soldaten, die wieder gesund wurden.

Am 8. April 2020 antwortete der Vertreter des UPCHR auf eine Petition der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung, mit der diese forderte, die Wehrpflicht für die Zeit der Pandemie auszusetzen. Er äußerte sich zum Fall des Soldaten Oleh Chuiko und informierte darüber, dass der Kommissar eine Frage zur Prävention der Ausbreitung von Covid-19 unter Soldaten eingereicht habe. Er informierte auch darüber, dass der Kommissar 2019 mehr als 50 Beschwerden von Wehrpflichtigen und ihren Angehörigen erhalten habe, bei denen mehr als 100 Verletzungen der Menschenrechte durch Angehörige der Militärkommissariate vorgebracht wurden. Der Kommissar habe notwendige Maßnahmen ergriffen, um die Verletzungen zu stoppen und sie in der Zukunft zu verhindern.

Nach dem Jahresbericht des UPCHR zu 2019 ergaben die Überprüfungen, dass in zahlreichen Fällen die Wehrpflichtkommissionen medizinische Unterlagen ignorierten, durch die darauf hingewiesen wurde, dass die Wehrpflichtigen ernsthafte gesundheitliche Probleme haben. Ignoriert wurden auch Dokumente, die sie aufgrund familiärer Umstände zur Zurückstellung berechtigten. Das verstößt nicht nur gegen das gesetzlich garantierte Recht einer Person auf Zurückstellung, sondern stellt in einigen Fällen auch eine echte Bedrohung für die Gesundheit und das Leben des Wehrpflichtigen oder seiner Familienangehörigen dar, die aufgrund der Wehrpflicht ihres Sohnes ohne notwendige Versorgung und Sicherheit zurückgelassen werden.2

In einer Vorlage an das UN-Menschenrechtskomitee aus dem Jahr 2019 informierte der Europäische Verein der Zeugen Jehovahs, dass die Regionalverwaltung von Dnjepropetrowsk alle Anträge auf Ableistung des Alternativen Dienstes von Zeugen Jehovahs abgewiesen hätte, da das Gesetz vorschreibe, dass Anträge spätestens zwei Monate vor Beginn der durch Präsidentenerlass festgelegten Einberufungskampagne eingereicht werden müssen. Die Erlasse wurden aber in den letzten Jahren in der Regel später als zwei Monate vor der Einberufungskampagne verkündet.3 Im Jahr 2020 wurde der Erlass drei Monate zuvor herausgegeben.

Laut Statistiken der Regionalverwaltungen von Dnjepropetrowsk erhielten 68 Kriegsdienstverweigerer in den Jahren 2015 bis 2020 eine Anerkennung, darunter 50 Zeugen Jehovahs. 30 Anträge wurden abgelehnt, sechs wegen Fristversäumnis, vier wegen fehlender Nachweise für die Echtheit der religiösen Überzeugung und zehn wegen Vermeidung der Ableistung des alternativen Dienstes.

Am 1. Oktober 2020 äußerte der Internationale Versöhnungsbund (IFOR) auf dem 31. Treffen der 45. Tagung des Menschenrechtsrates seine Besorgnis über die gegenwärtigen Verstöße gegen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Ukraine. Er stellte eine unverhältnismäßige Dauer des alternativen Dienstes und mangelhaften Zugang zum Arbeitsmarkt für diejenigen fest, die keine Erfassung vorlegen können. Der Versöhnungsbund betonte, dass eine verfassungsrechtlich verankerte Pflicht zum Schutz der territorialen Integrität des Landes das international geschützte Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht außer Kraft setze. Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sei ein uneingeschränktes Recht und es gelte auch unabhängig davon, ob es einen bewaffneten Konflikt gäbe. IFOR forderte die Ukraine auf, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im neuen Menschenrechtsaktionsplan vollständig umzusetzen.

Außerdem gab IFOR am 18. Dezember 2020 auf der Sitzung des Menschenrechtsrates eine Erklärung ab, dass der alternative Dienst in der Ukraine Strafcharakter aufweise und diskriminierend sei. Zudem sei es kaum möglich ihn abzuleisten. IFOR wies auf die Situation von 24 Angehörigen der Pfingstgemeinde hin, Kriegsdienstverweigerer aus dem Hoshcha Rayon des Bezirks Rivne, die keinen alternativen Dienst ableisten können, da ihnen keine Arbeitsmöglichkeiten im Rahmen der Regelungen des alternativen Dienstes angeboten werden. IFOR äußerte sich besorgt über die Verabschiedung des Gesetzes 3553 durch das Parlament in erster Lesung, das Menschenrechte verletze. Weiterhin zeigte sich IFOR besorgt über die Fortsetzung des Prozesses gegen den Pazifisten Ruslan Kotsaba wegen seines Videos von 2015, in dem er seine Opposition zur Mobilisierung zum bewaffneten Konflikt in der Ostukraine zum Ausdruck brachte.

Gesetzentwurf sieht Verschärfungen vor

Der vom Präsidenten der Ukraine vorgeschlagene Gesetzentwurf 3553 „Über die Änderungen mehrere Gesetzgebungsakte der Ukraine zur Verbesserung einiger Aspekte der Durchführung des Militärdienstes und der Erfassung“ wurde vom Parlament in erster Lesung angenommen. Zusammen mit der Umstrukturierung des Systems der Militärkommissariate in „Territoriale Zentren für Rekrutierung und soziale Unterstützung“ (TCRSS) sollen folgende Maßnahmen umgesetzt werden:

vor Aufnahme einer Beschäftigung ist eine (militärische) Erfassung erforderlich;

unklare Definitionen von Ordnungswidrigkeiten gegen Erfassung und Militärdienst und hohe Geldstrafen (50 bis 100mal höher als bislang); Befugnis der TCRSS, solche Geldstrafen zu verhängen;

Verhaftungen und zwangsweise Überstellung zur TCRSS bei Vergehen gegen die Verwaltungsvorschriften, was wie eine Legalisierung der gegenwärtig informellen Praxis der Jagd auf Wehrpflichtige auf den Straßen durch Polizei und Angehörige der Militärkommissariate aussieht wie auch der willkürlichen Verhaftung von Wehrpflichtigen. Über diese Praxis hatte unter anderem die UN-Mission zur Überwachung der Menschenrechte in der Ukraine berichtet;4

strafrechtliche Verfolgung bei Vermeidung der Erfassung, Vermeidung von Versammlungen zur militärischen Ausbildung und Vermeidung der Wehrpflicht „in außerordentlichen Zeiten“ (wie sie nach dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine 2014 erklärt wurden) mit hohen Geldstrafen bis hin zu fünf Jahre Haft. Der Schwerpunkt liegt auf der Strafverfolgung von Reservisten, die sich Übungseinheiten und Mobilisierung entziehen, was eine weitere zwangsweise Militarisierung der männlichen Bevölkerung bedeuten könnte, da Wehrpflichtige, die ihren Militärdienst abgeleistet haben, als Reservisten gelten. 40% von ihnen sollen überredet worden sein, sich zum Militärdienst zu verpflichten;

zwangsweise „Erfassung“ von Kriegsdienstverweigerern nach der Entlassung aus dem alternativen Dienst;

Befugnis des Präsidenten der Ukraine als Oberbefehlshaber, Reservisten in einer „außerordentlichen Zeit“ für bis zu sechs Monate zu mobilisieren;

personenbezogene Daten von Personen können ohne deren Zustimmung in das Einheitliche Register der Wehrpflichtigen, Militärangehörigen und Reservisten aufgenommen werden; Insbesondere werden die Daten automatisch aus dem Einheitlichen Demografischen Register übertragen. Das bedeutet, dass die gesamte männliche Bevölkerung ab 17 Jahren automatisch zur Erfassung in einem Militärregister aufgenommen werden kann;

Studenten können in einer „außerordentlichen Zeit“ einberufen werden. Gegenwärtig haben sie ein Recht auf Zurückstellung;

Diskriminierung von Kriegsdienstverweigerern beim Zugang zum öffentlichen Dienst, umgesetzt über eine „besondere Untersuchung der Einstellung zum Militärdienst“ für alle Kandidaten öffentlicher Ämter und der Forderung auf Vorlage eines Militärausweises bei der Jobsuche im öffentlichen Dienst.

Der wissenschaftliche Dienst des Werchowna Rada (Parlament) der Ukraine warnte, dass sich eine Verabschiedung des Gesetzes 3553 negativ auf die Rechte und Freiheiten der Bürger auswirken könnte.

Der Aufruf der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung, den Gesetzentwurf zurückzuziehen, wurde abgelehnt. Ein Offener Brief an den Präsidenten5 wurde vom Büro des Präsidenten weitergeleitet an das Verteidigungsministerium, das den Gesetzentwurf verfasst hatte. Der Antrag der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung, Einwände gegen das Gesetz vortragen zu können, wurde vom Verteidigungsausschuss des Parlaments abgelehnt.

Vorschläge der Ukrainischen Pazifistischen Bewegung und des Internationalen Versöhnungsbundes, den Schutz des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung in die Nationale Menschenrechtsstrategie der Ukraine und den Aktionsplan für die Jahre 2021-2023 aufzunehmen, wurden ebenfalls abgelehnt, obwohl bereits 2013 das UN-Menschenrechtskomitee seine Besorgnis geäußert hatte, dass offenbar keine Maßnahmen ergriffen wurden, um das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auf Personen auszudehnen, die nichtreligiöse Gewissensgründe oder auf andere Religionen beruhende Gewissensgründe haben. Zudem hat das Komitee betont, dass es Regelungen zu einem alternativen Dienst geben solle, der allen Kriegsdienstverweigerern offenstehe ohne Diskriminierung hinsichtlich der Art der Überzeugungen (religiöse oder nichtreligiöse Gewissensgründe), die die Verweigerung rechtfertigen. Desweiteren sollte der alternative Dienst weder Strafcharakter aufweisen noch der Natur oder Länge nach im Vergleich zum Militärdienst diskriminierend sein.6 Am 23. Oktober 2020 erklärte die Vertreterin des UPCHR für auswärtige Angelegenheiten, Natalia Fedorovych, in einem offiziellen Schreiben, dass die Empfehlungen des UN-Menschenrechtskomitees zum alternativen Dienst in der Ukraine nicht umgesetzt werden und der Kommissar der Auffassung ist, dass das Gesetz der Ukraine „Über einen alternativen (nicht-militärischen) Dienst“ gemäß Artikel 35 der Verfassung der Ukraine gründlich aktualisiert und verbessert werden sollte.

Eine Umfrage von 3e! News Telegram und eine KRT-TV-Telefonumfrage zeigen, dass die Wehrpflicht in der Ukraine sehr unbeliebt ist. Im ersten Fall haben sich 2019 87% der Befragten gegen die Wehrpflicht ausgesprochen, im zweiten Fall stimmten 2020 91% der Befragten zu, dass der Militärdienst in der Ukraine freiwillig sein solle. Auf der Parlamentssitzung am 17. Juli 2020 sagte Verteidigungsminister Andriy Taran jedoch, dass die Wehrpflicht in der Ukraine auf absehbare Zeit fortgeführt wird und wies die Aussage seines Vorgängers Andriy Zahorodniuk zu einer möglichen Aufhebung der Wehrpflicht zurück.

Mit einem im November 2020 verabschiedeten Gesetz werden Angehörige des Staatlichen Notdienstes von der Wehrpflicht ausgenommen.

Wehrpflicht Russlands auf der Krim

Während der fortbestehenden illegalen Besatzung ukrainischer Gebiete kündigten die russischen Streitkräfte im Jahr 2020 die Wehrpflicht von 3.000 Einwohnern der Krim an, was gegen Artikel 51 der IV. Genfer Konvention und die Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen verstößt. Die Europäische Union verurteilte diesen Versuch der Durchsetzung der Wehrpflicht und rief Russland dazu auf, alle Verletzungen der Menschenrechte und des internationalen Rechts auf der Halbinsel Krim zu beenden.7 Seit Beginn der Besatzung hat die Russische Föderation bereits elf Einberufungskampagnen durchgeführt, bei denen etwa 25.000 Personen illegal in die russischen Streitkräfte rekrutiert wurden.8 Human Rights Watch überprüfte Dutzende von Urteilen von Gerichten auf der Krim zu Strafvorwürfen wegen Militärdienstentziehung und zählte 71 Verfahren wegen Militärdienstentziehung und 63 Schuldsprüche. Die tatsächliche Zahl solcher Fälle ist höchstwahrscheinlich höher, da nicht alle Fälle und ergangenen Urteile öffentlich gemacht werden. In den meisten Fällen wurden die Angeklagten zu Geldstrafen zwischen 5.000 und 60.000 Rubel (77 bis 1.000 US-Dollar) bestraft.9

Kriegsdienstverweigerer auf der von Russland besetzten Krim können bei Militärkommissariaten die Ableistung eines alternativen Zivildienstes in staatlichen Unternehmen beantragen. Es liegt jedoch im Ermessen des Militärs, die „Authentizität“ ihrer Überzeugungen anzuerkennen oder nicht. Eine Ablehnung kann vor Gericht angefochten werden. Es gibt jedoch nur geringe Chancen auf eine Änderung der Entscheidung. Kriegsdienstverweigerer sehen sich schwerwiegenden Hindernissen für eine Anerkennung gegenüber, darunter Einschränkungen beim Verfahren, diskriminierender Misshandlung aus religiösen, politischen oder anderen Gründen. So wurde zum Beispiel bekannt, dass der Militärkommissar von Bakhchysarai forderte, dass ein Zeuge Jehovah seinen Glauben aufgibt, um einen Antrag stellen zu können, da die Zeugen Jehovahs in Russland verboten sind. Alexander Sedov, Experte der Crimean Human Rights Group sagte 2020 im Radio Liberty, dass Militärkommissariate Menschen daran hindern, einen Antrag auf Ableistung eines alternativen Dienstes zu stellen. Auch würden Beschwerden über unerträgliche Bedingungen mit Strafcharakter wie die Ableistung des Dienstes in sehr weit vom Heimatort entfernten Regionen oder über unhygienische Zustände der Unterkünfte kriminalisiert, indem die die Beschwerde als strafrechtlich relevante Entziehung vom alternativen Dienst gewertet würde.

Zwangsrekrutierungen im Donbass

Auf dem Gebiet des Donbass im Osten der Ukraine, wo die Regierung keine wirksame Kontrolle ausübt, führten die separatistischen Kräfte der von Russland unterstützten „Volksrepublik Donezk“ mit einer geschätzten Stärke von 20.000 Mann und der „Volksrepublik Luhansk“ mit einer geschätzten Stärke von 14.000 Mann eine Erfassung aller Männer ab 17 Jahren durch und beriefen Männer zwangsweise zu militärischen Übungen ein. Das umfasste Übungen in Militäreinheiten oder Lagern für zehn Tage. Militärdienstentzieher sind von Bestrafung bedroht. Im September 2020 erklärte der Führer der Volksrepublik Donezk, Denis Pushilin, die Einführung der Wehrpflicht, ohne in Details zu gehen. Die Medien informierten darüber, dass die Militärkommissariate in der Volksrepublik Luhansk ab 2021 eine Einberufung im Rahmen der Wehrpflicht in die russische Armee organisieren werden. Das betrifft insbesondere Männer mit 18 Jahren oder ältere mit einem russischen Reisepass, der der Bevölkerung in der Region massiv ausgestellt worden ist. In den Ankündigungen über die Einführung der Wehrpflicht zu separatistischen Kräften oder der russischen Besatzungsarmee im Donbass wird nicht erwähnt, ob das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung respektiert werden wird.

Fußnoten

1 Brussels 8-12-2020 - OPEN LETTER to Court - EBCO calls for the dropping of all charges against Ruslan Kotsaba, https://ebco-beoc.org/node/478

2 Annual report of the Ukrainian Parliament Commissioner for Human Rights on the observance and protection of human rights and freedoms of citizens of Ukraine, 2019, http://ombudsman.gov.ua/files/2020/opendata/Zvit%202019%20English_22.06.20.pdf

3 European Association of Jehovah‘s Witnesses Submission to the UN Human Rights Committee, https://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CCPR/Shared%20Documents/UKR/INT_CCPR_ICO_UKR_36874_E.pdf

4 Human Rights Council document A/HRC/42/CRP.7 „Report on the human rights situation in Ukraine 16 May to 15 August 2019,“ 24. September 2019, Absätze 6, 49, https://www.ohchr.org/Documents/Countries/UA/ReportUkraine16May-15Aug2019_EN.pdf

5 Statement by Ukrainian Pacifist Movement: Bill № 3553 on Zelensky‘s military dictatorship should be withdrawn, https://wri-irg.org/en/story/2020/statement-ukrainian-pacifist-movement-bill-no-3553-zelenskys-military-dictatorship

6 Human Rights Committee, Concluding observations on the seventh periodic report of Ukraine (CCPR/C/UKR/CO/7) of 22. August 2013, Absatz 19, https://undocs.org/CCPR/C/UKR/CO/7

7 EU statement on illegal conscription in occupied Crimea, 13 April 2020, URL: https://wri-irg.org/en/story/2020/eu-statement-illegal-conscription-occupied-crimea 

8 Ukraine’s Foreign Ministry statement on illegal conscription of Ukrainian citizens living in Crimea, https://morocco.mfa.gov.ua/fr/news/zayava-mzs-ukrayini-shchodo-nezakonnogo-prizovu-ukrayinskih-gromadyan-shcho-prozhivayut-v-krimu-do-zbrojnih-sil-rf 

9 Human Rights Watch, “Crimea: Conscription Violates International Law,” URL: https://www.hrw.org/news/2019/11/01/crimea-conscription-violates-international-law 

Ukrainian Pacifist Movement: Conscription and Conscientious Objection in Ukraine. 20.12.2020. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Februar 2021

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