Wir sind israelische Reservisten. Wir weigern uns zu dienen.
Ein Aufruf
(23.07.2014) Am 23. Juli 2014 veröffentlichten etwa 50 Reservisten der israelischen Armee nachfolgenden Aufruf. Sie protestieren damit nicht nur gegen den gegenwärtigen Kriegseinsatz im Gazastreifen, sondern machen auch deutlich, dass „in Israel Krieg nicht einfach nur Politik mit anderen Mitteln ist, sondern die Politik ersetzt. Israel ist nicht mehr fähig, über eine Lösung des politischen Konfliktes außerhalb der physischen Möglichkeiten nachzudenken. Es ist daher kein Wunder, dass es einen nicht endenden Kreislauf der tödlichen Gewalt gibt. Wenn die Kanonen feuern, wird keine Kritik mehr gehört.“ (d. Red.)
Don’t Serve – Leiste keinen Dienst
Wir waren Soldaten und SoldatInnen in den verschiedensten Einheiten und Positionen der israelischen Armee – eine Tatsache, die wir nun bedauern, weil wir im Dienst feststellten, dass SoldatInnen, die in den besetzten Gebieten Dienst leisten, die einzigen sind, die dem Leben der PalästinenserInnen einen Kontrollmechanismus auferlegen. In Wahrheit ist das gesamte Militär daran beteiligt. Aus diesem Grund weigern wir uns nun, Reservedienst zu leisten und wir unterstützen alle, die die Einberufung verweigern.
Die israelische Armee, ein grundlegender Teil des israelischen Lebens, ist auch die Macht, die seit 1967 in den besetzten Gebieten das Leben der PalästinenserInnen beherrscht. So lange die Besatzung in ihrer gegenwärtigen Struktur besteht, kontrolliert sie auch unsere Sprache und Mentalität: Wir teilen die Welt in Gut und Böse ein entsprechend der militärischen Kategorien; Das Militär ist die führende Autorität, zu entscheiden, wer in der Gesellschaft mehr und wer weniger wert ist – wer stärker für die Besatzung verantwortlich ist, wem es gestattet wird, Widerstand dagegen zu äußern und wem nicht und in welcher Form dies geschehen darf. Das Militär spielt eine zentrale Rolle bei jedem Aktionsplan und jedem Vorschlag, der auf nationaler Ebene diskutiert wird, was erklärt, warum jedwede ernsthafte Diskussion über nicht-militärische Lösungen des Konfliktes zwischen Israel und seinen Nachbarn ausgeschlossen ist.
Die palästinensischen BewohnerInnen der Westbank und des Gaza-Streifens sind ihrer zivilen Rechte und Menschenrechte beraubt. Sie leben unter einem Rechtssystem, dass sich von denen ihrer jüdischen Nachbarn unterscheidet. Das ist nicht nur die Schuld der SoldatInnen, die in diesen Gebieten Dienst leisten. Deshalb sind nicht nur die SoldatInnen dieser Einheiten dazu verpflichtet, zu verweigern. Viele von uns leisteten Dienst im logistischen und Verwaltungsbereich; Wir stellten dort fest, dass das gesamte Militär dazu beiträgt, die Unterdrückung der PalästinenserInnen umzusetzen.
Viele SoldatInnen, die keinen Kampfauftrag haben, lehnen eine Verweigerung ab, weil sie glauben, dass ihre Handlungen, die oft Routine und banal sind, nichts mit den gewaltsamen Ereignissen an anderen Orten zu tun haben. Und Handlungen, die nicht banal sind – z.B. Entscheidungen über das Leben oder den Tod von PalästinenserInen, die viele Kilometer entfernt von der Westbank getroffen werden – sind geheim, so dass es schwierig ist, darüber öffentlich zu diskutieren. Leider haben wir nicht immer die Ausführung von Aufgaben verweigert, die uns aufgetragen wurden und haben auf diese Weise selbst zu gewaltsamen Handlungen des Militärs beigetragen.
Während unserer Dienstzeit in der Armee wurden wir Zeugen des diskriminierenden Verhaltens des Militärs (oder waren daran beteiligt): strukturelle Diskriminierung von Frauen, die mit der Auswahl und Zuschreibung von Rollen beginnt; sexuelle Belästigungen, die für einige von uns alltägliche Realität sind; die Abhängigkeit der Aufnahmezentren für Immigranten von der Unterstützung uniformierter Militärs. Einige von uns sahen auch aus erster Hand, wie die Bürokratie absichtlich Technikstudenten in technische Positionen brachte, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, an anderer Stelle Dienst zu leisten. Wir wurden in der Ausbildung zwischen Menschen gesetzt, die genauso aussahen wie wir und sich genauso anhörten, statt uns zu mischen und zu sozialisieren, wie es die Armee vorgibt zu tun.
Das Militär versucht sich selbst als eine Institution darzustellen, die soziale Mobilität ermöglicht – als ein Trittbrett in die israelische Gesellschaft. In der Realität setzt es die Trennung fort. Wir glauben, dass es nicht zufällig ist, dass Angehörige von Mittelklassenfamilien in Eliteeinheiten des Geheimdienstes landen und von da aus oft an hochbezahlte Arbeitsstellen in technischen Firmen kommen. Wir denken, dass es nicht zufällig ist, wenn SoldatInnen aus Einheiten für Instandhaltung und Quartierverwaltung desertieren oder die Armee verlassen - oft angetrieben von der Notwendigkeit, ihre Familien zu unterstützen - als „Drückeberger“ bezeichnet werden. Das Militär bewahrt das Bild eines „guten Israeli“, der in Wahrheit seine Macht aus der Unterwerfung Anderer erlangt. Die zentrale Rolle, die das Militär in der israelischen Gesellschaft hat und das von ihr geschaffene Idealbild tragen gemeinsam dazu bei, die Kulturen und die Kämpfe der Mizrachi, Äthiopier, Palästinenser, Russen, Drusen, ultra-Orthodoxen, Beduinen und Frauen zu zerstören.
Wir alle waren an dieser Ideologie beteiligt, in der einen oder anderen Form und nahmen teil am Spiel des „guten Israeli“, der loyal im Militär dient. Oft trug unser Dienst dazu bei, bessere Positionen in Universitäten und auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten. Wir stellten Beziehungen her und profitierten von der innigen Atmosphäre des israelischen Konsens‘. Aber aus den obengenannten Gründen sind diese Vorteile die Kosten nicht wert.
Vom Gesetz her sind einige von uns immer noch Teil der Reserve (andere konnten Ausnahmen erhalten) und das Militär hat weiter unsere Namen und persönlichen Informationen, wie auch die gesetzlich gegebene Möglichkeit, uns zum „Dienst“ einzuberufen. Aber wir werden nicht gehen – auf keinen Fall.
Es gibt viele Gründe, warum sich Menschen weigern, in der israelischen Armee zu dienen. Auch wir haben unterschiedliche Hintergründe und Motivationen, warum wir diesen Brief schrieben. Dennoch: Wir stellen uns gegen Angriffe gegen Menschen, die sich der Wehrpflicht widersetzen, wir unterstützen die Verweigerer: HochschulabsolventInnen, die einen Brief mit ihrer Verweigerung schrieben; ultra-Orthodoxe, die gegen das neue Wehrpflichtgesetz protestieren; drusische Verweigerer; und all diejenigen, deren Gewissen, persönliche Situation oder wirtschaftliche Situation ihnen nicht gestattet, Dienst zu leisten. Unter dem Deckmantel der Gleichheit sind diese Menschen dazu gezwungen, den Preis zu zahlen. Nie mehr!
Quelle: www.lo-meshartot.org/dont-serve. 23. Juli 2014. Übersetzung: rf. Zitat des 1. Absatzes nach Washington Post vom 23. Juli 2014, www.washingtonpost.com/posteverything/wp/2014/07/23/we-are-israeli-reservists-we-refuse-to-serve. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe September 2014
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