Deserteurinnen und Deserteure aus Eritrea brauchen Asyl

von Rudi Friedrich

"Für mich ist es eine neue Erfahrung, dass es Gruppen gibt, die sich auch für Kriegsdienstverweigerer und gegen Krieg engagieren. (...) Ich habe das als Soldat nie für möglich gehalten. Bei uns kann man noch nicht einmal darüber sprechen. Es gibt keine Möglichkeit, Widerstand zu leisten - nur abzuhauen. Hier habe ich erfahren, dass Widerstand möglich ist." (Yohannes Kidane)

 

Was in Afrika geschieht, gerät nur selten ins Blickfeld der bundesdeutschen Medien: zumeist mit Berichten über Kriege oder Hungerkatastrophen. Das gilt auch für Eritrea. So hatte dieser Staat eine gewisse Aufmerksamkeit durch den Krieg auf sich gezogen, der von 1998 bis zum Jahre 2000 zwischen Eritrea und Äthiopien tobte.

Über die bisherige Geschichte des Landes ist wenig bekannt. Eritrea ist einer der jüngsten Staaten der Welt, hervorgegangen aus einem über Jahrzehnte geführten Unabhängigkeitskampf gegen die äthiopische Zentralregierung. 1993 konnte er sich nach einer Volksabstimmung als völkerrechtlich anerkannter Staat konstitutieren. Seitdem führte Eritrea mehrere Kriege. Der Krieg gegen Äthiopien war dabei die größte militärische zwischenstaatliche Auseinandersetzung Ostafrikas.

Noch weniger bekannt ist die politische, wirtschaftliche und menschenrechtliche Situation in Eritrea. Aufhorchen ließen allerdings Meldungen von amnesty international aus dem Jahre 2002. Nach der Abschiebung von etwa 200 Flüchtlingen aus Malta wurde ein Großteil - unter ihnen Deserteure und Kriegsdienstverweigerer - bei ihrer Rückkehr in Eritrea inhaftiert und gefoltert. Ihr Aufenthaltsort ist bis heute unbekannt.1 Das deutet an, wie verheerend sich inzwischen die Situation darstellt.

In den letzten Jahren gelang einigen Hundert DeserteurInnen die Flucht nach Deutschland. Sie traten in Kontakt mit der Flüchtlingspfarrerin der Ev. Kirche Hessen/Nassau (EKHN) in der Hessischen Erstaufnahme in Schwalbach bei Frankfurt. Connection e.V. schlug schließlich vor, ihre Erfahrungen und Erlebnisse öffentlich zu machen. So entstand ein gemeinsames Projekt, um die Lage der Deserteure und Deserteurinnen aus Eritrea bekannter zu machen.

Wir führten Interviews mit den Deserteurinnen und Deserteuren durch. Auf unsere Anregung hin wurden sie selbst aktiv und gründeten die Eritreische Antimilitaristische Initiative. Mit einer gemeinsamen Pressekonferenz im November 2004 wurden schließlich die Ergebnisse in Form der hier vorliegenden Dokumentation vorgestellt.

Sie beinhaltet Beiträge, um die politische und wirtschaftliche Situation in Eritrea darzustellen. Darüber hinaus stand für uns im Fokus, das Schweigen über die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern und -verweigerinnen, Deserteuren wie Deserteurinnen zu durchbrechen. Daraus ergaben sich zwei Schwerpunkte. Zum einen haben wir vorhandene, aber kaum beachtete, Dokumente internationaler Organisationen und Institutionen im Hinblick auf unseren Fokus ausgewertet. Zum anderen soll anhand der hier dokumentierten Interviews gezeigt werden, welche konkreten Erfahrungen die einzelnen DeserteurInnen und VerweigerInnen machen mussten, welche Erlebnisse sie zur Flucht aus dem Land trieben. Sie treten zumeist zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. Das ist ein mutiger Schritt, vor allem deshalb, weil sie in Eritrea nicht nur als "VerräterInnen" und "Feiglinge" denunziert und bestraft werden, sondern auch, weil ihre Asylanträge in aller Regel abschlägig beschieden werden. Ihnen droht die Abschiebung - mit allen in dieser Dokumentation ausführlich geschilderten Folgen. Zudem müssen selbst die in Eritrea verbliebenen Familienangehörigen mit Repressionsmaßnahmen rechnen.

Die Verfolgung von Desertion und Kriegsdienstverweigerung ist zentraler Bestandteil der eritreischen Innenpolitik. Das UNHCR beschreibt die Situation z.B. folgendermaßen: "Nach dem eritreischen Gesetz besteht die Wehrpflicht aus einem 18-monatigem Militär- und Aufbaudienst sowohl für Männer als auch für Frauen im Alter von 18 bis 40 Jahren. In der Praxis ist er unbeschränkt zu leisten, da Entlassungen nur in bedeutungslosem Maße vorgenommen wurden. Es gibt kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Die Regierung hat im ganzen Land Militärpolizei eingesetzt, die Straßenblockaden, Razzien auf Straßen und Haus-zu-Haus Durchsuchungen durchführt, um DeserteurInnen und MilitärdienstentzieherInnen zu finden. Die Regierung hat nach den Berichten auch die Anwendung extremer Gewalt gegen alle genehmigt, die verweigern oder zu fliehen versuchen. (...) Die Bestrafung von Deserteuren, Militärdienstentziehern und Armeeangehörigen schließe Maßnahmen wie das Festbinden der Hände und Füße für längere Zeiten und das Aussetzen in der Sonne bei hohen Temperaturen mit ein."2

"Bei uns kann man nicht darüber sprechen"

Im Mai und Juni 2004 interviewten wir zehn eritreische Flüchtlinge, die sich dem Militärdienst entzogen hatten.3 Wir baten alle, insbesondere über ihre Erfahrungen und Erlebnisse, wie auch über ihre Motivation zur Flucht zu sprechen. Es war für sie eine neue Erfahrung, dass es in Deutschland Menschen gibt, die ihnen zuhören. Senai Mehari sagte am Ende, dass es ihm bei der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge "nicht möglich gewesen war, die Erlebnisse so ausführlich zu schildern". Und für Yohannes Kidane war "es eine neue Erfahrung, dass es Gruppen gibt, die sich auch für Kriegsdienstverweigerer und gegen Krieg engagieren. (...) Ich habe das als Soldat nie für möglich gehalten. Bei uns kann man noch nicht einmal darüber sprechen."

Um die Gesprächssituation zu stützen, gaben wir einen inhaltlichen Rahmen vor4, stellten aber während der Schilderungen lediglich Verständnisfragen. Die Interviews erhielten so den Charakter von persönlichen Erlebnisschilderungen und spiegeln damit noch stärker wider, was jeweils individuell als bedeutsam angesehen wurde.

Schnell wurde auch klar, dass die Kriegserlebnisse, die selbst erlebte Verfolgung und erlittene Folter auch zu Traumatisierungen geführt haben. Bei einer der Interviewten zeigte sich dies im Gespräch selbst. Sie war mit 15 Jahren bei einer Razzia von der Straße weg rekrutiert worden und fünf Jahre beim Militär gewesen, bis sie fliehen konnte. Bis heute leidet sie an einem permanenten Schluckauf. Während des Interviews war sie unruhig und konnte nur ansatzweise ihre Erlebnisse schildern, was sie selbst als Blockade beschrieb. Schließlich zog sie die Einwiligung für eine Veröffentlichung ihres Interviews zurück.

Oft wurde ausführlicher dargestellt, wie unzureichend und unprofessionell die Armee funktioniert und wie es zu Konflikten mit den Vorgesetzten kommen konnte. Typischerweise hingegen berichtete kaum einer detailliert über Bestrafungen durch die sogenannte Nummer Acht, Hubschrauber oder andere Foltererlebnisse. Es ist eine häufig zu beobachtende Folge der Traumatisierungen: Die selbst erlittenen Verletzungen müssen verdrängt werden, um überleben zu können. Es war keineswegs zu erwarten, dass im Verlauf der Interviews an das Verdrängte gerührt wird, zumal wir keinen therapeutischen Rahmen hatten, um die dabei womöglich auftretenden Emotionen aufzufangen.

Für die interviewten Frauen traf das in besonderem Maße zu, da mit einem Interviewer und dem Übersetzer auch Männer zugegen waren. Keine von ihnen sprach z.B. über selbst erlittene Vergewaltigungen, obwohl, wie den vorliegenden Berichten von internationalen Organisationen zu entnehmen ist, sexuelle Übergriffe zu den gängigen repressiven Praktiken gegenüber Frauen gehören.

Alle Interviews wurden nach Aufzeichnung und Abschrift den interviewten Personen noch einmal in tigrinja rückübersetzt und von ihnen autorisiert.

"Ich hatte die Nase voll vom Krieg"

Zwei der interviewten Frauen wurden bereits mit 15 Jahren einberufen, zwei der Männer mit 17 Jahren. Die Rekrutierung von Jugendlichen erfolgte häufig mittels Razzien. Musse Habtemichael, der selbst Militärpolizist war, schildert die Praxis: "13 mal haben wir einen Bezirk umzingelt und jedes Haus kontrolliert. Erst wurde das Gebiet umstellt. Dann gingen wir in jedes Haus und holten alle auf die Straße, alle. Dann wurden alle kontrolliert. Wenn jemand Schüler ist, hat er einen Schülerausweis, dann lässt man ihn laufen. Wenn er Arbeiter und erwachsen ist, sieht man seinen Ausweis. Wenn er gar nichts hat, wird er zu einer Einheit gebracht."

Bis auf Ruta Yosef-Tedla, die schon vor ihrer Einberufung aus Eritrea floh, leisteten alle jahrelang Militärdienst, den sogenannten Nationaldienst ab. Der normale Dienst soll eine sechsmonatige Grundausbildung in Sawa und weitere zwölf Monate Arbeitsdienste umfassen. Tatsächlich waren sie zwischen drei und sechs Jahre lang im Militär. Zum einen waren zum Kriegsbeginn 1998 die Entlassungen ausgesetzt und Reservisten erneut einberufen worden. Insbesondere erfolgte aber nach dem Ende des Krieges keine Entlassung der SoldatInnen.

Auch amnesty international schildert, dass "in der Praxis der Nationaldienst seit dem Krieg mit Äthiopien durch Verwaltungsentscheidungen auf unbegrenzte Zeit ausgedehnt worden ist. Dadurch wurden Einberufungen beschleunigt, die militärische Ausbildung verkürzt und der Entwicklungsdienst in aktiven Militärdienst umgewandelt. Die Nachkriegspläne für die Demobilisierung, die von der internationalen Gemeinschaft finanziert werden sollten, wurden von der Regierung als Folge der andauernden Grenzgespräche mit Äthiopien und der politischen Nachkriegsspannungen verschoben. So wächst die Armee jedes Jahr."5 Zuletzt gab es im November 2004 Razzien in Asmara, um wehrtaugliche Personen aufzugreifen und zu rekrutieren.6

Die Strafverfolgung bei Desertion, Militärdienstentziehung, Kriegsdienstverweigerung wie auch bei Unbotmäßigkeit, Befehlsverweigerung oder im Militär geäußerter Kritik gegenüber dem Militär oder der eritreischen Regierung ist in höchstem Maße von Willkür geprägt.

Soldaten wurden angeklagt, weil sie u.a. in einer Versammlung "ungesetzlich aufgestanden" seien "und die Versammlung unterbrochen" hätten, wie bei Weldu Habtemicael. Bezeichnend ist vor allem, das auch frühere Vergehen, die zunächst keine Folgen zeitigten, später als weitere Anklagepunkte gegen die Betroffenen vorgebracht wurden.

Eine Versetzung an die Front wurde von den DeserteurInnen als Strafmaßnahme angesehen. Dies gilt vor allem dann, wenn ihnen keine Waffen ausgehändigt oder sie zu gefährlichen Einsätzen abkommandiert wurden. So äußerte sich Yohannes Kidane: "Zur Strafe hat der Bataillonsführer mich ohne Waffe, nur in Uniform, direkt an die Front geschickt. Ich bin mir sicher, dass das schon so angeordnet worden (...) war. Wenn jemand in Kriegszeiten bestraft werden sollte, wurde er ohne Waffe an der Front eingesetzt. Dann ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dort zu sterben. Das ist nicht nur mir, sondern auch anderen passiert."

Dies geschah offensichtlich auch Frauen, die den Vorgesetzten nicht für sexuelle Handlungen willig zur Verfügung standen. Unter anderem erzählt Bisrat Habte Micael: "Wer sich den Aufforderungen der Männer verweigert hat, wurde zu miesen Arbeiten eingeteilt oder einfach in den Krieg geschickt. Auch die Mädchen, die vergewaltigt worden waren, sich aber nicht fügen wollten, wurden an die Front geschickt. (...) Ich wurde einmal mit der Nummer Acht bestraft und den ganzen Tag in die Sonne gelegt, weil ich mich geweigert hatte, für den Vorgesetzten Hausarbeiten zu machen."

Andere Formen der von militärischen Vorgesetzten verordneten Strafen sind nach den Berichten der Interviewten stunden- und tagelange Fesselungen. Sie machten es vor: Arme und Füße werden zusammen auf dem Rücken gefesselt und das Opfer mit dem Gesicht nach unten auf den Boden gelegt. Henok Estifanos schilderte: "Ich kam erst um ein Uhr nachts zur Kaserne zurück. Als ich kam, hieß es: ’Stillgestanden!’ Dann wurde ich mit der Nummer Acht gefesselt und drei Tage und drei Nächte liegen gelassen."

Die Opfer werden zum Teil über längere Zeit (auch nackt) der Sonne ausgesetzt. Zusätzlich wurden sie in einigen Fällen mit Milch übergossen. So geschah es Saeed Ibrahim: "Sie übergossen mich mit einem Gemisch aus Milch und Zucker, fesselten mich und legten mich in die Sonne. Das war Ende Mai/Anfang Juni 1999. 2 ½ Tage lag ich ununterbrochen gefesselt da. Die Tage waren sehr heiß, nachts war es total kalt. Da verbrannte meine Haut, nach 2 ½ Tagen war mein Gesicht voller Blasen. Ich hatte auch schreckliche Kopfschmerzen. (...) Sie brachten mich in ein Lazarett in der Nähe, machten meine Haut ab, säuberten das Fleisch mit Desinfektionsmitteln und gaben mir Antibiotika-Tabletten. Das war es schon."

Andere wurden nach einer Desertion oder Befehlsverweigerung in Gefängnissen inhaftiert. Beim Militär selber werden solche Gefängnisse u.a. aus Dornengestrüpp mit Pflanzen mit sehr langen scharfen Dornen errichtet. Yohannes Kidane fotografierte ein solches Gefängnis und erläuterte: "Das Gefängnis wurde nach den Vorstellungen des Brigadeführers eingerichtet. Der Verhau ist 16 qm groß (...). Der Brigadeführer kann dort Soldaten für sechs Monate oder sogar länger inhaftieren lassen. Es saßen 20-30 Leute ein. Sie durften keine Hose anziehen, sondern hatten nur einen Lendenschurz. Ihre Haare wurden rasiert. Sie erhielten nur zwei Decken. Die eine legten sie auf den Sandboden. Mit der anderen versuchten sie, sich vor der Sonne zu schützen. Sie durften auch keine Schuhe tragen, damit sie nicht fliehen konnten. Zudem sind in dieser Gegend sehr viele Soldaten stationiert gewesen. Die Gefangenen erhielten mittags und abends nur je ein Brot und etwas Hirse."

In anderen Fällen wurden Gefangene in Container eingepfercht, so wie Musse Habtemichael in Teseney: "Sie haben uns 15 Tage lang in einem Container eingeschlossen. Am Tag ist es darin zu heiß, nachts zu kalt. Unsere Haut begann, Ausschläge zu bekommen."

Alle von uns Interviewten berichten davon, dass als Strafmaßnahme auch der Einsatz zu Arbeitsdiensten verordnet wurde, so Saeed Ibrahim: "Andere Soldaten wurden damit bestraft, Schützengräben auszuheben. Wir mussten nun stattdessen auf dem Feld arbeiten. Die Ernte, die der Bataillonsführer oder auch der Brigadeführer für sich beanspruchte, wurde an die Einheit verkauft, musste von ihr abgenommen werden."

Amnesty international weiß von zahlreichen geheimen behelfsmäßigen Gefängnissen, zu denen der Zugang verboten ist und die offiziell nicht als Gefängnisse gelten. "Viele der Gefängnisse sind unterirdisch. Sie stehen unter Kontrolle des Militärs oder des Staatssicherheitsdienstes, auch das Gefängnis am Hauptstützpunkt der Armee in Sawa."7

In den Gefängnissen wird häufig gefoltert. Der vorliegende Bericht von amnesty international zeigt ausführlich die verschiedenen Foltermethoden bei Verhören auf.8 Sie führen häufig zu schweren und auch zu bleibenden Schäden der Gefangenen.

Schärfstens wird gegen Kriegsdienstverweigerer vorgegangen. So berichtet amnesty international von drei Zeugen Jehovas, die den Militärdienst verweigerten: "Sie sind seit 1994 in Haft und gehören damit zu den am längsten inhaftierten Gewissensgefangenen. Paulos Iyassu, Issac Moges und Negede Teklemariam werden ohne Kontakt zur Außenwelt seit dem 24. September 1994 in der Sawa-Militärbasis festgehalten. Zwei weitere, Aron Abraha und Mussie Fessehaye, wurden im Mai 2001 bzw. 2003 zwangsweise eingezogen und befinden sich in Armeegewahrsam."9

Alle von uns Interviewten entschlossen sich zur Flucht. Yohannes Kidane sah das als letzten Ausweg: "Es gibt keine Möglichkeit, Widerstand zu leisten - nur abzuhauen." Nur Ruta Yosef Tedla hatte sich vor ihrer Einberufung zur Flucht entschieden, da sie "prinzipiell gegen Krieg" ist. Alle anderen kamen im Laufe des Militärdienstes zu ihren Entscheidungen. Einige, wie Senai Mehari, standen der Ableistung des Militärdienstes zunächst positiv gegenüber: "Ich hatte meinen Nationaldienst abgeleistet, weil ich dachte: ’Für meine Nation muss ich einen Dienst leisten.’ Später erfuhr ich von den Gräueltaten. Deshalb bin ich abgehauen." Andere flohen, weil sie aufgrund von Befehlsverweigerung oder Kritik am Militär Folter und Inhaftierung ausgesetzt waren.

Unabhängig von ihrer Motivation wird allerdings an den Berichten deutlich, dass das Militär bei Regelverstößen, die die Disziplin innerhalb der Armee in Frage stellen, mit schärfsten Maßnahmen reagiert. Sehr oft wird sogleich der Vorwurf erhoben, mit oppositionellen Gruppen wie den G1510 zu sympathisieren, für Äthiopien zu spionieren, Verrat am eigenen Land zu begehen usw. Die Befehlsverweigerung, Militärdienstentziehung und Desertion wird hier mit politischen Anschuldigungen verknüpft. Ein rechtsstaatliches Strafverfahren findet nicht statt. Stattdessen herrschen willkürliche Strafmaßnahmen der Vorgesetzten vor, die in der Praxis Misshandlungen, Folter, inhumane Haftbedingungen, Zwangsarbeit wie auch unbefristete Inhaftierung einschließen.

Kein Asyl für DeserteurInnen aus Eritrea

So kurz und knapp lässt sich der Umgang mit den DeserteurInnen und MilitärdienstentzieherInnen in Deutschland zusammenfassen. Dabei sind es insgesamt nur wenige, die von Tausenden von Flüchtlingen überhaupt Deutschland erreichen können. Im Jahre 2003 beantragten insgesamt 573 Personen aus Eritrea Asyl.

Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge11 weist die Asylbegehren in aller Regel zurück. Sehr oft wird den Asylsuchenden vorgeworfen, unglaubwürdig zu sein. Zum Teil werden Widersprüche von den EntscheiderInnen konstruiert, die sich trotz zahlreicher Berichte darauf stützen, dass das eritreische Militär logisch und nach militärischen Kriterien effizient agieren würde, statt zu realisieren, dass Willkür und Eigenprofit der Vorgesetzten in systematischer Weise im Vordergrund steht.

In einer Entscheidung eines eritreischen Antragstellers aus dem Jahre 2002 wird die Problematik in einer sehr interessanten Weise aufgegriffen: "Eine Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung oder Wehrdienstentziehung durch einen Staat stellt nicht schon für sich allein eine politische Verfolgung dar. In eine politische Verfolgung schlagen derartige Maßnahmen erst dann um, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt werden, die durch die Maßnahmen gerade wegen ihrer Religion, ihrer (tatsächlichen oder vermeintlichen) politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen persönlichen Merkmals getroffen werden sollen. Anhaltspunkte hierfür sind insbesondere das Fehlen eines Gerichtsverfahrens nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, das willkürliche Verhängen überharter Strafen - auch in einem Krieg - sowie das Ansehen der Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache und ihre allgemeine Ächtung (...). Jeder Staat hat das Recht, seine Wehrfähigkeit sicher zu stellen und Verstöße gegen die Wehrpflicht mit Sanktionen zu belegen. Da der Antragsteller aber keine Anhaltspunkte dafür glaubhaft machen konnte, dass er sich in exponierter Weise als Gegner der Regierung hervorgetan hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ihm eine höhere Strafe, als bei Wehrdienstentziehung üblich, droht."12

In dieser ablehnenden Entscheidung des Bundesamtes wird zum einen auf eine grundsätzliche problematische Sichtweise bezüglich der Verfolgung von Desertion hingewiesen: Eine Desertion gilt ebenso wie die Kriegsdienstverweigerung nicht als politische Entscheidung und Handlung, sondern als Straftat. Den Staaten wird das Recht zugebilligt, ihre Bürger zum Kriegsdienst zu zwingen und gegen DeserteurInnen vorzugehen. So droht ihnen die Ablehnung in den Asylverfahren selbst dann, wenn sie vor Diktaturen oder Militärregimes fliehen, wenn es im Herkunftsland kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt oder wenn sie vor dem Zwang zum Kriegsdienst aus Ländern fliehen, die Krieg führen. Nur in Ausnahmefällen gab es in der Vergangenheit Entscheidungen, die Verweigerern und Deserteuren einen Schutz aufgrund des sogenannten Politmalus zusicherten: Wenn der Betroffene eine überharte Strafe oder eine höhere Strafe als andere Wehrpflichtige und Soldaten zu erwarten hat, weil er eine politisch abweichende Überzeugung hat, Angehöriger einer Minorität oder Rasse ist.

Da dem Entscheider bekannt gewesen sein dürfte, dass im Falle eritreerischer DeserteurInnen die Anwendung der von ihm selbst genannten Gesichtspunkte dazu führen würde, alle Flüchtlinge im wehrpflichtigen Alter aus Eritrea als asylberechtigt anzuerkennen, verschiebt er den Maßstab für die überharten Strafen auf ein Niveau, das die Flüchtlinge kaum lebend erfüllen können. Sie sollen sich neben ihrer Desertion noch zusätzlich "in exponierter Weise als Gegner der Regierung" hervorgetan haben, um als asylberechtigt anerkannt zu werden. Wer die in dieser Broschüre dokumentierten Berichte der internationalen Organisationen gelesen hat, wer gehört hat, was die interviewten Flüchtlinge erlitten haben, weiß, wie schon die "nicht exponierten Gegner" behandelt werden. Sie bestätigen, dass allen DeserteurInnen Folter, Misshandlung, willkürliche und unbefristete Inhaftierung und Frauen auch sexuelle Übergriffe drohen.

So treffen die im Bescheid genannten Kriterien auf die DeserteurInnen tatsächlich zu, insbesondere "das Fehlen eines Gerichtsverfahrens nach rechtsstaatlichen Grundsätzen", "das willkürliche Verhängen überharter Strafen", "das Ansehen der Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache".

Das deutsche Auswärtige Amt bezieht zu alldem nur in beschönigender Weise Stellung. Die von allen weiteren Organisationen und Institutionen aufgeführte unmenschliche Behandlung von DeserteurInnen und Kriegsdienstverweigerern wird verschwiegen. Es schreibt: "Bei der Heranziehung zum Militärdienst - obligatorisch für Männer und Frauen zwischen 18 und 40 Jahren - werden alle Gruppen der Gesellschaft gleich behandelt. Eine Unterscheidung nach Rasse, Religion bzw. Nationalität findet nicht statt. Wehrdienstverweigerung kann mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden. Auch Fahnenflüchtige müssen mit Gefängnisstrafen rechnen. Dies trifft auch auf die Zeugen Jehovas zu."13 Damit liefert es geradezu eine Steilvorlage für das Bundesamt und die Verwaltungsgerichte, um mit Standardantworten die Asylbegehren von desertierten EritreerInnen abzulehnen.

Die wenigen relativ positiven Urteile, von denen wir zwei dokumentiert haben14, verweisen einstimmig lediglich auf ein Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG, weil, so z.B. der Bayrische Verwaltungsgerichtshof, die Klägerin "bei ihrer Einreise nach Eritrea festgenommen und verhaftet werden wird und ihr anschließend Folter und unmenschliche Behandlung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen werden".15

Dabei weisen internationale Definitionen weiter. So ist z.B. dem Handbuch des UNHCR zu entnehmen: "Ein Deserteur oder jemand, der sich der Einberufung entzieht, kann auch als Flüchtling angesehen werden, wenn er dartun kann, dass er aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung wegen seines militärischen Vergehens eine unverhältnismäßig schwere Strafe zu erwarten hätte. Das gleiche gilt, wenn er - abgesehen von der Strafe wegen Desertion - aus den genannten Gründen begründete Furcht vor Verfolgung geltend machen kann."16

Auch die im April 2004 verabschiedete EU-Anerkennungsrichtlinie17 gibt entsprechende Vorgaben. Danach können als Verfolgung gelten: "a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen", also ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke umfassen.

Vieles davon würde bei den Fällen aus Eritrea zutreffen. Dies bestätigt die Annahme, dass DeserteurInnen, MilitärdienstentzieherInnen wie auch KriegsdienstverweigerInnen aus Eritrea ein asylrechtlicher Schutz nach der Genfer Konvention bzw. nach GG Art. 16a zusteht. Dieser Schutz wird von den deutschen Behörden verweigert. Sie verweisen die Betroffenen im besten Fall auf einen Abschiebeschutz, der ihnen nur einen unsicheren Aufenthaltsstatus gewährt.

Gerade am Beispiel Eritrea wird deutlich: Deserteure und Deserteurinnen werden von Regierung und Militär als "Verräter" gebrandmarkt - und politisch verfolgt. Connection e.V. fordert deshalb gemeinsam mit Pro Asyl und der Flüchtlingsseelsorge der EKHN asylrechtlichen Schutz für DeserteurInnen und VerweigerInnen aus Eritrea ein.

Fußnoten

1 The Times, Malta: Malta deportees tortured in Eritrea, Amnesty says. 19. Mai 2004

2 UNHCR: Position on Return of Rejected Asylum Seekers to Eritrea, Januar 2004

3 Die Zitate, soweit nicht anders angegeben, sind den Interviews der Broschüre "Eritrea: Kriegsdienstverweigerung und Desertion", Offenbach, November 2004, entnommen worden.

4 mit folgenden Bereichen: 1. persönlicher Hintergrund, 2. Rekrutierung, 3. Grundausbildung, 4. Kriegserfahrungen, 5. Entlassung/Flucht aus der Armee, 6. Motivation zur Kriegsdienstverweigerung/Desertion, 7. Situation in Deutschland

5 amnesty international: "Du hast kein Recht zu fragen", Mai 2004, AI Index AFR 64/003/2004. Übersetzung: amnesty international, Kogruppe Eritrea

6 amnesty international: urgent action vom 9. November 2004. ai-Index AFR 64/008/2004. Auszüge

7 amnesty international: "Du hast kein Recht zu fragen", Mai 2004, AI Index AFR 64/003/2004. Übersetzung: amnesty international, Kogruppe Eritrea

8 amnesty international: "Du hast kein Recht zu fragen", Mai 2004, AI Index AFR 64/003/2004. Übersetzung: amnesty international, Kogruppe Eritrea

9 amnesty international: "Du hast kein Recht zu fragen", Mai 2004, AI Index AFR 64/003/2004. Übersetzung: amnesty international, Kogruppe Eritrea

10 ehemalige Minister der Regierung und EPLF-Führer, die die Regierung im Jahre 2001 öffentlich kritisiert hatten und verhaftet wurden

11 mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes heißt es nun Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

12 Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bescheid vom 2.12.2002, AZ 2779703-224

13 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Eritrea (Lagebericht), 18. Juli 2003, 508-516.80/3 ERI

14 in der Broschüre "Eritrea: Kriegsdienstverweigerung und Desertion", Offenbach, November 2004

15 Bayrischer Verwaltungsgerichtshof: Beschluss vom 25.5.2004 (AZ 9 B 03.31015)

16 Handbuch des UNHCR, Nr. 169 und 170

17 Richtlinie über Mindestnormen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 29. April 2004, Artikel 9

 

Rudi Friedrich ist Mitarbeiter von Connection e.V.

Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. und Eritreische Antimilitaristische Initiative in Zusammenarbeit mit der Flüchtlingsseelsorge der EKHN (Hrsg.): Broschüre »Eritrea: Kriegsdienstverweigerung und Desertion«, Offenbach/M., November 2004. Wir danken für die finanzielle Förderung durch: Dekadefonds zur Überwindung der Gewalt der EKHN, Förderverein Pro Asyl und Evangelischer Entwicklungsdienst (EED).

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