Teilnehmer*innen der Konferenz. Foto: Seungho Park

Teilnehmer*innen der Konferenz. Foto: Seungho Park

„Unsere Welt braucht Kriegsdienstverweigerer“

Ein Bericht über die Internationale Konferenz zu Kriegsdienstverweigerung in Seoul, Südkorea

von Marah Frech

(02.01.2024) Von den „besseren Gefangenen“ südkoreanischer Gefängnisse, einem thailändischen Mönch und dem Widerstand russischer und israelischer Aktivist:innen gegen Krieg und Unterdrückung.

Im Rahmen ihres 20. Jubiläums hat die südkoreanische Organisation World Without War (WWW) Mitte November 2023 eine dreitägige, internationale Konferenz organisiert, deren Thema gegenwärtig nicht wichtiger sein könnte: Kriegsdienstverweigerung und Antimilitarismus. Sie hatte gemeinsam mit der War Resisters‘ International (WRI) und Connection e.V. zu dieser Konferenz eingeladen. Aktivist:innen aus unterschiedlichen Ländern, darunter Japan, Südkorea, Thailand, Nepal, Israel, Russland, Finnland, Großbritannien, Schweiz und Deutschland, trafen sich in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul, um sich gemeinsam dem aktuellen Stand der Kriegsdienstverweigerung, Herausforderungen und Rückschlägen zu widmen. Neben der schwierigen Situation in Südkorea selbst, waren die Kriege in der Ukraine und in Gaza wichtige Themen. Für die anwesenden Aktivist:innen eröffnete sich ein Raum für Austausch und die Erkenntnis, dass zwischenmenschliche Beziehungen, Solidarität und Kooperation das Fundament unserer Arbeit bilden.

Alternativdienst in Südkorea: Von den „besseren Gefangenen“

Der erste Tag der Konferenz widmete sich der Situation in Südkorea selbst. Nach jahrelangen zivilgesellschaftlichen Kämpfen, unter anderem von World Without War, führte das südkoreanische Parlament im Jahr 2020 die Möglichkeit des alternativen „Ersatzdiensts“ zum Militärdienst ein. Doch das Leben der Kriegsdienstverweiger:innen, die erst nach einer Überprüfung durch die Zivildienstkommission, die dem Verteidigungsministerium unterstellt ist, zu „Ersatzdienstleistenden“ werden, gleiche dem eines „besseren Gefangenen“, wie einer der beiden anwesenden „Ersatzdienstleistenden“ berichtet: Der Ersatzdienst ist mit drei Jahren doppelt so lang wie der Militärdienst, muss in einer Justizvollzugsanstalt abgeleistet werden und wirkt sanktionierend. Auch wenn die „Ersatzdienstleistenden“ keine Gefangenen sind, müssen sie sich an strenge Vorgaben halten, was das Verlassen des Geländes oder die Kontakte nach „draußen“ betrifft. Zudem leben sie während der gesamten Zeit auf dem Gelände des Gefängnis‘ und leisten ähnliche Arbeiten wie die Gefangenen selbst. Das sind einige der Gründe, warum sich der Anteil der „politischen“ Kriegs-dienstverweiger:innen von etwa 1.000 Personen pro Jahr (1 % aller Verweiger:innen) nicht sehr verändert hat. Jang Gil-Wan, Aktivist und Kriegsdienstverweigerer im „zivilen“ Ersatzdienst, berichtete zu Beginn der Konferenz, dass es in der militarisierten Gesellschaft Südkoreas, in der die nationale Sicherheit immer noch eine mächtige Ideologie sei, für den Einzelnen nicht leicht sei, einen „anderen Weg“ zu wählen. Sich für den Alternativdienst zu entscheiden ist mit einem nervenaufreibenden Prozess verbunden, der Mut und Ausdauer verlangt. Die Kommission zwingt zur Beantwortung sehr persönlicher Fragen und durchleuchtet die eigene Vergangenheit auf politisch-moralische Aktivitäten, die eine Militärdienstverweigerung begründen. Der Dienst selbst sei zwar nicht mit einem Gefängnisaufenthalt zu vergleichen, aber es handelt sich noch immer um eine Form des Militärdienstes, an dem die Militärverwaltung und das Verteidigungsministerium beteiligt sind und der lange Aufenthalte in militarisierten Räumen erfordert. Diejenigen, die aus religiösen Gründen verweigern – wie die etwa 26.000 Zeug:innen Jehovas, die seit Beginn der Militärdienstpflicht in Südkorea verweigert haben – haben es im Anhörungsprozess leichter als Verweiger:innen mit politischen oder pazifistischen Motivationen. Letztere müssen durch mehrere Anhörungen und Prüfverfahren, bevor sie zum Alternativdienst zugelassen oder abgelehnt werden. Antimilitarismus oder Pazifismus wird in den intransparenten Prüfverfahren äußerst eng definiert, Einspruch gegen die Entscheidung der Kommission kann nicht erhoben werden. Somit befinden sich Ersatzdienstleistende in einer zweideutigen Position zwischen Gefangenen und Soldat:innen. Jang Gil-Wan hofft, dass „jetzt, wo die ersten Militärdienstpflichtigen nach drei langen Jahren Dienst seit Oktober 2020 endlich entlassen werden, die gesammelten Erfahrungen und Gedanken genutzt werden können, um die strafende und diskriminierende Praxis des Zivildienstes aus menschenrechtlicher und demokratischer Sicht in ein besseres System umzuwandeln (…). Wenn der Ersatzdienst denjenigen, die das Militär und den Krieg abgelehnt haben, die Möglichkeit bieten soll, auf eine ‚andere Art‘ zur Gesellschaft beizutragen, gibt es keinen Grund, sie zu bestrafen und zu diskriminieren. Damit das System in eine alternative Form umgewandelt werden kann, die die allgemeinen Rechte garantiert, muss geprüft werden, ob es im Einklang mit den Werten der Menschenrechte und den demokratischen Grundsätzen funktioniert. Mit dem Abschluss eines Zyklus hoffe ich, dass das System bald geändert werden kann und dass die Stimmen der Zivilgesellschaft und der Ersatzdienstleistenden, die sich in der Bewegung für Kriegsdienstverweigerung engagiert haben, in diesem Prozess gehört werden.“
Die beiden darauffolgenden Konferenztage legten den Fokus auf die Situation der Kriegsdienstverweigerung in anderen asiatischen Staaten. Neben den Redebeiträgen des ersten thailändischen Kriegsdienstverweigerers Netiwit Chotiphatphaisal und der türkischen Aktivistin Merve Arkun der Initiative Conscientious Objection Watch (COW) lauschten die Konferenzteilnehmenden den Aktivist:innen und Kriegsdienstverweiger:in-
nen aus Israel und Russ-
land mit besonderer Aufmerksamkeit. Vertreter:innen der russischen Bewegung für Kriegsdienstverweigerung (MCO) und eine Aktivist:in der israelischen Organisation New Profile berichteten von den aktuellen Herausforderungen ihrer Arbeit und der Notwendigkeit, sich gegen den Krieg und die Unterdrückung der Bevölkerung einzusetzen.

Türkischen Verweiger:innen droht der „Zivile Tod“

Bereits in den 1990er Jahren erklärten die ersten türkischen Verweigerer:innen ihren Widerstand gegen den Krieg, das Militär und den verpflichtenden Militärdienst für alle Männer zwischen 20 und 41 Jahren. „In einer Gesellschaft, in der jeder Mann von Geburt an sowohl als Türke als auch als Soldat identifiziert wird, begannen die ersten (öffentlichen) Verweigerer eine neue, andere Geschichte zu schreiben“, erklärte Merve. Nach den offiziellen Daten der türkischen Organisation Vicdani Ret İzleme, erklärten zwischen 1989 und 2022 fast 600 Militärdienstpflichtige ihre Verweigerung. Die tatsächliche Zahl ist schwer abzuschätzen, aber mit Sicherheit um ein Vielfaches höher. Nach wie vor ist die Türkei der einzige Mitgliedsstaat des Europarates, der das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht anerkannt hat, es gibt weder einen alternativen Zivildienst noch ein Verfahren, das Verweiger:innen in Anspruch nehmen können. Sie sind dazu gezwungen, ein Leben zu führen, in dem ihnen ihre sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rechte vorenthalten werden. Sie sind mit zahlreichen Rechtsverletzungen konfrontiert, u.a. Verwaltungsstrafen und wiederholte Gerichtsverfahren wegen derselben Anklage, Verletzungen des Rechts auf Bildung, des Wahlrechts und des Rechts auf formelle Beschäftigung (mit Sozialversicherung), der Konfiszierung von Bankkonten sowie Einschränkungen der Freizügigkeit. Diese willkürliche Kriminalisierung wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als „ziviler Tod“ klassifiziert, weil eine reguläre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben nicht mehr möglich sei.

Thailand – Der Mönch und das Militär

„Der Mönch und das Militär“, spätestens mit diesem Zeitungsartikel erlangte der erste thailändische Kriegsdienstverweigerer, Aktivist und Verleger Netiwit Chotiphatphaisal internationale Aufmerksamkeit. (1) Mit 18 Jahren erklärte er öffentlich seine Kriegsdienstverweigerung, bevor er ein Jahr lang als Mönch lebte. Seitdem lehnte er die Einberufung zum Militärdienst immer wieder ab. Auf der Konferenz in Seoul berichtete Netiwit von den Initiativen, die sich für ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzen und die eng mit seiner eigenen Geschichte verbunden sind. Thailand sei zwar derzeit nicht in Kriege verwickelt, doch Gewalt durchdringe den Alltag, erklärte Netiwit. Das Land sei in der Vergangenheit Zeuge von 13 Staatsstreichen gewesen, in denen das Militär stets den Diskurs beherrschte. Noch immer sei das System des Militärzwangsdiensts von Gewalt bestimmt. Die Löhne seien niedrig und Korruption weit verbreitet. Ein Bericht von Amnesty International (2) beleuchtet die zahlreichen Todesfälle von Militärdienstpflichtigen, die an den Folgen von Misshandlungen in Militärlagern gestorben sind.
„Dieses System beraubt den Einzelnen seiner Möglichkeiten, der Gesellschaft und der Menschheit zu dienen, und formt ihn entsprechend einer Kultur der Gewalt“, kommentierte Netiwit die aktuelle Situation. Ihm droht 2024, wenn seine letzte Einberufung erfolgt, eine Inhaftierung. Er zeigt sich entschlossen, an diesem Tag zum Militär zu gehen, „nicht als Rekrut, sondern um mein Engagement für die Sache zu demonstrieren und andere zu inspirieren, aufzustehen und sich zu weigern. Unsere Welt braucht Kriegsdienstverweigerer heute mehr denn je; wir verkörpern den Geist der Gewaltlosigkeit und der Entmilitarisierung und bieten neue Wege des Zusammenlebens in einer stärker vernetzten Welt“.

Über den Widerstand gegen eine Regierung, die Krieg führt: Beiträge aus Russland und Israel

Wie schwierig die zivilgesellschaftliche Arbeit gegen Militarismus, Krieg und Kriegsbeteiligung in hochgradig militarisierten Gesellschaften ist, verdeutlichten die Beiträge von Aktivist:innen aus Russland und Israel. Ihre Erfahrungsberichte, persönlichen Geschichten der Trauer und des Verlusts und ihre Forderungen nach einem Ende des russischen Kriegs in der Ukraine und den Bombardierungen des Gazastreifens durch das israelische Militär, entwickelten sich – auch angesichts der Dringlichkeit – zu einem wichtigen Bestandteil der Konferenz. Einmal mehr wurde deutlich, dass der informelle, persönliche Austausch ein wichtiger, emotionaler Stützpfeiler ist, wenn politische Arbeit mit persönlichen Verlusten und realen Gefahren verbunden ist. Diese umfassen – in unterschiedlicher Ausprägung – sowohl in Russland als auch in Israel derzeit staatliche Unterdrückung sowie Verfolgung durch politische Gegner:innen und manifestieren sich in verbaler, psychologischer und physischer Gewalt, in Hackerangriffen auf private Geräte und Social Media Accounts, in Festnahmen und Haftstrafen. Um die Aktivist:innen zu schützen, wurde der nachfolgende Bericht anonymisiert.

„Die Erfahrung des Militärs macht Gewalt zugänglicher“

Im Konferenzsaal ist es ruhig, als ein:e israelische:r Aktivist:in über die Arbeit der Organisation New Profile berichtet: Von unzähligen Beratungsgesprächen mit Militärdienstpflichtigen, Soldat:innen und Kriegsdienstverweiger:innen, über die aus Schutz der Betroffenen immer seltener öffentlich berichtet wird; über die Einberufung ukrainischer und russischer Geflüchteter, die auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine einen permanenten Aufenthalt in Israel erhalten haben und nun für den Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung rekrutiert werden; von den politischen Kämpfen und Bildungsangeboten der Organisation gegen den Militarismus in der israelischen Gesellschaft. Gleichzeitig macht die:der Ak-tivist:in auf die strukturelle Diskriminierung von Misrachi (orientalische) Jüd:innen gegenüber Aschkenasi Jüd:innen (europäischer Abstammung) so-
wie Jüd:innen gegenüber arabischen Israelis und Palästi-nenser:innen aufmerksam und positioniert sich gegen die Besetzung Palästinas, den Krieg in Gaza und den Militarismus der israelischen Gesellschaft: „Gaza ist das größte Gefängnis der Welt. Selbst wenn wir einen Waffenstillstand fordern, ist das nicht das Ende der Gewaltspirale. Der Krieg wird nur durch einen Friedensprozess enden, indem Menschen verstehen, dass Gewalt keine Lösung ist, sondern nur Gegengewalt erzeugt. Die Bevölkerung muss endlich verstehen, welcher strukturellen Gewalt Palästinenser:innen ausgesetzt sind. Ich glaube, dass dieser Friedensprozess lange dauern wird und er jetzt beginnen muss, damit wir, Israelis und Palästinenser:innen, irgendwann gemeinsam in Frieden leben können. Wir müssen die Militarisierung der Gesellschaft beenden, weil wir wissen, dass Soldat:innen zu gewalttätigeren Menschen werden. Wer lernt, auf Menschen zu schießen, dem:der fällt es auch leichter, jemanden auf einem Parkplatz zu erstechen; weil Gewalt durch die Erfahrung des Militärs zugänglicher und zu einem akzeptierten Mittel der ‚Konfliktbearbeitung‘ wird“.

„Für ein Ende dieses mörderischen Krieges“

Parallel zur Konferenz für Kriegsdienstverweigerung in Seoul, fand in Tel Aviv am 18. November die erste, durch den Obersten Gerichtshof genehmigte und daher vergleichsweise sichere Protestveranstaltung gegen den Krieg in Gaza und die Bombardierungen der palästinensischen Bevölkerung statt – in einem Park, „nicht öffentlich und abgeschottet vom Rest der Welt“, erklärte die israelische Kriegsdienstverweigerin Sahar M. Vardi in einem Interview mit dem Europäischen Büro für Kriegsdienstverweigerung (EBCO) (3). Sie berichtete weiter, dass Rechtsextremist:innen eine Gegenveranstaltung in unmittelbarer Nähe organisierten und man sie bei jedem Raketenabschuss klatschen hörte. Vorherige Veranstaltungen, wie beispielsweise der friedliche Protest gegen die politische Verhaftung von arabischen Israelis vor der Shalem-Polizeistation in Sheikh Jarrah in Ostjerusalem, an dem sich auch Vardi beteiligte, seien mit Polizeigewalt niedergeschlagen worden, es kam zu dutzenden Verhaftungen. Seit dem brutalen, menschenverachtenden Angriff der Hamas stehe ein großer Teil der Öffentlichkeit hinter der Fortsetzung des Krieges. „Alles, was nach Sympathie für Palästinenser:innen klingt, wird als Verrat angesehen. Die öffentliche Atmosphäre ist für viele Menschen beängstigend. In der israelischen Gesellschaft herrscht im Moment die Meinung vor, es gäbe keine andere Wahl als den Gazastreifen zu bombardieren, ihn auszulöschen. Die Gesellschaft versteht nicht, was das bedeutet. Sie versteht nicht, dass in den letzten anderthalb Monaten bereits über 11.000 Menschen durch das israelische Militär getötet worden sind und die Stadt Gaza selbst zerstört wurde, dass Siedler:innen im Westjordanland quasi machen könnten, was sie wollen.“ Vardi betont: „Israel hat militärische Lösungen immer wieder erprobt und angenommen, durch ein starkes Militär und fortschrittliche Technologie in der Lage zu sein, den Konflikt zu unterdrücken. Das hat nicht funktioniert. Am 7. Oktober ist der Konflikt explodiert und hunderte Israelis haben mit ihrem Leben dafür bezahlt. Die Menschen im Gaza-streifen bezahlen noch immer mit ihrem Leben dafür.“ Daher sei die Hauptforderung des breiten Protestbündnisses eine friedliche, politische Lösung, ein Abkommen. „Wir protestieren für ein Ende dieses mörderischen Krieges gegen die Zivilbevölkerung des Gazastreifens. Wir wollen eine langfristige Lösung, die der Zivilbevölkerung in Gaza und im Westjordanland Sicherheit bringt“, ergänzt der Kriegsdienstverweigerer und Aktivist beim antimilitaristischen Netzwerk Mesarvot, Tal Mitnick, gegenüber EBCO (4).

Die „entscheidendsten Monate“ der russischen Bewegung für Kriegsdienstverweigerung

In den vergangenen Monaten war auch die russische Bewegung für Kriegsdienstverweigerung (MCO) mit einer beispiellosen Herausforderung konfrontiert: Mit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine veränderte sich die politische Landschaft Russlands grundlegend. Initiativen und Einzelpersonen, die sich gegen den Krieg aussprachen, wurden kriminalisiert, Soldat:innen mit invasiven Maßnahmen zwangsrekrutiert (5). Viele Menschen verloren Angehörige „an der Front“ und der Raum für gesellschaftliche Aktivitäten schrumpft kontinuierlich. Gleichzeitig, so berichteten die Aktivist:innen, wurden bedeutsame Fortschritte bei der Bewusstseinsbildung über Kriegsdienstverweigerung und die Rechte derer erzielt, die den Militärdienst verweigern – auf nationaler wie internationaler Ebene. Diese unterstreichen die Bedeutung der Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht. Der Aktivist Taras zeigte sich entschlossen, dass die Geschichten von Einzelpersonen und ihren Angehörigen die Kraft der Entschlossenheit und der Unterstützung bei der Verfolgung der Kriegsdienstverweigerung große Bedeutung haben: „Wenn wir die vergangenen Monate betrachten, so wird deutlich, dass es bei einer Kriegsdienstverweigerung nicht nur um die Menschen geht, die sich unmittelbar dafür entscheiden, sondern auch um die Gemeinschaft, die Bewegungen und die Organisationen, die sich um sie herum versammeln. Das Engagement für Transparenz, Aufklärung und Unterstützung macht die russische Bewegung für Kriegsdienstverweigerung zu einer wichtigen Fürsprecherin der Kriegsdienstverweigerung“.

Politische Arbeit = Extremismus?

Wenige Tage später erreichen auch die Repressionen in Russland einen neuen Höhepunkt, als „die internationale öffentliche LGBTQ+-Bewegung als extremistische Organisation“ eingestuft und „ihre Aktivitäten in Russland“ verboten wurden (6). Damit wurden die Rechte queerer Menschen weiter massiv eingeschränkt. Die Richter:innen des Obersten Gerichtshofs stimmten einem entsprechenden Antrag des russischen Justizministeriums zu. Da das neue Gesetz im Geheimen verhandelt wurde, sind die Auswirkungen noch unklar. Zudem richtete sich das Verbot nicht gegen eine spezifische Organisation, sondern eine (imaginierte) Gruppe, deren Zusammenhang bestenfalls lose ist. Es richtet sich gegen die russische Gesellschaft selbst. Nicht nur eine Gefahr für alle Betroffenen, sondern für alle Aktivist:innen. Denn, wie der Verweigerer Bogdan uns berichtet, könnten nun alle oppositionellen Bewegungen als LGBTQ und damit als extremistisch eingestuft und kriminalisiert werden. Die russische Öffentlichkeit solle mundtot gemacht, der Hass gegenüber Minderheiten weiter geschürt werden.
Für die Aktivist:innen aus Russland, die größtenteils im Exil leben, war die Reise nach Seoul auch deshalb mit persönlichen Gefahren verbunden. Es ist umso wichtiger, ihnen zuzuhören und die vielen Geschichten öffentlich zu machen. Sie sind Zeugnisse einer Politik, die sich gegen die Zivilbevölkerung selbst richtet und zur Zerstörung des Lebens und der Infrastruktur in der Ukraine führt.

(skill) sharing is caring

Am Ende der Konferenz stellten wir uns die Frage, was wir einander geben können und was wir voneinander brauchen. Das Netzwerk ist bunt, die Erfahrungen sind vielfältig und so neigte sich das Treffen mit einem Pool wertvoller Ressourcen dem Ende zu: Während wir von der russischen Bewegung für Kriegsdienstverweigerung über ‚cyber security‘ lernen können, inspiriert uns New Profile zu kreativen Protestveranstaltungen und Direkter Aktion. Das Asian Peace Network sieht Gemeinschaft im Zentrum von ‚emotional well-being‘. Die türkische Initiative Conscientious Objection Watch ist darin geübt, internationale Prozesse für die eigene Arbeit fruchtbar zu machen und mit den japanischen Vertreter:innen verfügt das Netzwerk über langjährige Expertise im akademischen Bereich und internationalen Symposien. Daniel Møgster von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen und Rachel Brett für das Quaker UN Office brachten ihre Erfahrungen internationaler Lobbyarbeit der UN ein. Netiwit aus Thailand erinnerte uns an die Bedeutung von Übersetzungen und Veröffentlichungen und die südkoreanische Organisation World Without War zeigte, wie sich die Zusammenhänge der Arbeitsbereiche – von Feminismus über Ökologie, die Rüstungsindustrie bis zu Demokratiebewegungen – organisch in die alltägliche Arbeit einfügen. Nicht weniger wichtig war die Zusicherung unserer finnischen Vertretung ‚solidarity accomodation‘ für alle zu ermöglichen, die plötzlich aus dem Exil arbeiten müssen.

Empathie, Solidarität und Widerstand

Es ist bemerkenswert, mit welcher Wärme und Offenheit die Teilnehmenden einander begegnet sind. Die Konferenz zur Kriegsdienstverweigerung in Asien unterstreicht den unschätzbaren Wert persönlicher, informeller Beziehungen zwischen Aktivist:innen verschiedener Regionen, Kontexte und Erfahrungen, die sich in Graswurzelbewegungen organisieren. Während die schnelle, unbürokratische Weitergabe von Informationen und der Schutz von Individuen innerhalb des Netzwerks auf Solidarität, Erfahrungsaustausch und einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe beruhen, eröffnet strukturelle Vielfalt Kommunikationskanäle in verschiedenen Sprachen und Regionen, einen umfassenderen Zugriff auf Finanzierungsmöglichkeiten und die partielle Einbindung internationaler Organisationen.
Für die Organisationen aus Deutschland bedeutet das, Stimmen gegen Krieg, organisierte Gewalt und Besetzung zu multiplizieren und die Geschichten derjenigen weiterzuerzählen, die sich gegen Militarisierung, jahrzehntelange Konflikte und Kriegsbeteiligung aussprechen. Als Antimilitarist:innen lehnen wir eine binäre Sichtweise auf Konflikte ab, die uns dazu bringt, andere als Feind:innen zu betrachten, die unterdrückt oder getötet werden müssen. Wir schließen uns denjenigen an, die sich gegen Armeen und militärische Konfliktbearbeitungen entscheiden und sich weigern, zu töten, selbst wenn sie unter enormem Druck stehen. Wir unterstützen den Widerstand gegen kriegführende Regime und den gewaltfreien Aufbau von Vertrauen und Zusammenarbeit als Grundlage einer gerechteren Gemeinschaft (7)

(1) https://tricycle.org/article/netiwit-chotiphatphaisal/
(2) https://www.amnestyusa.org/reports/thailand-a-culture-of-torture-under-the-military/
(3) https://youtu.be/nBfpIhKXF5A
(4) https://youtu.be/F3HbNXnsfP8
(5) https://objectwarcampaign.org/2023/10/08/laenderportrait-russland/
(6) https://www.theguardian.com/world/2023/nov/30/russia-supreme-court-outlaws-lgbt-movement
(7) https://wri-irg.org/en/story/2023/war-crime-against-humanity-stop-violence-immediately-israel-palestine

Marah Frech arbeitet als Fachreferentin in der Geschäftsführung von Connection e.V. und besuchte als Teil der deutschen Delegation die Konferenz in Seoul.

Die Konferenz wurde finanziell gefördert durch die Ev. Mission in Solidarität (EMS) und die Ev. Kirche Hessen Nassau.

In einer Broschüre zur Konferenz, die voraussichtlich im Frühjahr 2024 herausgegeben wird, können die Redebeiträge und weitere interessante Informationen nachgelesen werden.

Marah Frech: "Unsere Welt braucht Kriegsdienstverweigerer". 2. Januar 2024. Der Artikel erschien in der Graswurzelrevolution Januar 2024