Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist absolut

von Daniel Møgster

(18.11.2023) Sehr geehrte Kolleg*innen, meine Damen und Herren,

zunächst möchte ich den Organisator*innen dafür danken, dass sie das Büro des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) zur Teilnahme an dieser Konferenz eingeladen haben. Ich möchte auch den bisherigen Redner*innen für ihre Einblicke danken.

In meinem Vortrag werde ich mich auf die internationalen Menschenrechtsstandards und die Empfehlungen des Büros des Hohen Kommissars für Menschenrechte konzentrieren.

In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte wird die Gewissensfreiheit anerkannt. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung leitet sich von der Gewissensfreiheit ab.

Dies hat der Menschenrechtsausschuss seit seiner ersten Stellungnahme in der 1993 angenommenen Allgemeinen Bemerkung Nr. 22 verbindlich und dann auch wiederholt bekräftigt.

Auch die Staaten haben sich wiederholt zu diesem Recht bekannt, bekräftigt in Resolutionen der Menschenrechtskommission und später des Menschenrechtsrates, eines Unterorgans der Generalversammlung der Vereinten Nationen UN), das sich aus 47 Mitgliedstaaten der UN zusammensetzt. Die Staaten haben auch im Rahmen der allgemeinen regelmäßigen Überprüfung Fragen an andere Staaten bezüglich der Umsetzung des Rechts gestellt. Die Staaten haben über den Rat unabhängige Expert*innen wie den UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit – aber auch andere – beauftragt, die Staaten auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht haben, dieses Recht einzuhalten.

Und nicht zuletzt haben die Staaten – über den Rat – das OHCHR beauftragt, regelmäßig über die Umsetzung des Rechts zu berichten.

Die Existenz des Rechts – als eine für die Staaten verbindliche Angelegenheit des Völkerrechts – ist daher unbestritten.

Der Beschluss des (südkoreanischen) Verfassungsgericht aus dem Jahr 2018, ein gefeiertes Urteil, das in der Verabschiedung des Gesetzes über die Zuweisung zum und die Ableistung des Alternativen Dienstes gipfelte, war eine willkommene und wichtige Entwicklung.

Wir haben dies sowohl in unserer Berichterstattung als auch in einem kürzlich abgehaltenen Workshop über Kriegsdienstverweigerung gewürdigt und die Rolle des Gerichtshofs als bewährte Praxis für Staaten hervorgehoben. Auch der Menschenrechtsausschuss hat dies in seinen jüngsten abschließenden Beobachtungen, die vor wenigen Wochen angenommen wurden, anerkannt.

Die Anerkennung des Rechts ist jedoch nicht das Ende der Geschichte.

In unserer früheren Berichterstattung haben wir darauf hingewiesen, dass das Gesetz über einen Alternativen Dienst bereits vor seiner Verabschiedung Anlass zu Bedenken gab. Insbesondere wiesen wir auf die Dauer des Alternativen Dienstes hin.

Dies ist ein Aspekt, den auch der Menschenrechtsausschuss in seinen jüngsten abschließenden Beobachtungen angesprochen hat. Er äußerte auch Bedenken hinsichtlich des Strafcharakters des Alternativen Dienstes, der Beschränkung des Alternativen Dienstes auf Justizvollzugsanstalten und des Ausschlusses bestimmter Personen von der Beantragung des Alternativen Dienstes.

Ich werde mich zu diesen Bedenken nicht weiter äußern. Stattdessen möchte ich auf die Empfehlungen eingehen, die das OHCHR dem Menschenrechtsrat zur Umsetzung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung nach den internationalen Menschenrechtsnormen vorgelegt hat.

Diese Empfehlungen betreffen das Antragsverfahren für die Anerkennung als Kriegsdienstverweiger*in und alternative Dienstregelungen, die für unsere heutigen Diskussionen von Bedeutung sein könnten.

Bevor ich darauf eingehe, möchte ich jedoch ein paar Punkte klarstellen:

Erstens: Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist absolut und erlaubt keine Einschränkungen.

Zweitens gibt es nach internationalem Recht keine Verpflichtung, ein System der Militärdienstpflicht aufrechtzuerhalten.

Drittens müssen Staaten, die ein solches System aufrechterhalten, zumindest Ausnahmen vorsehen, um sicherzustellen, dass Kriegsdienstverweiger*innen nicht in die Situation kommen, das Leben anderer Menschen nehmen zu müssen.

Viertens sind die Staaten nicht verpflichtet, einen Alternativen Dienst einzurichten – sie können denjenigen, die keinen Militärdienst leisten, sehr wohl einfach keine Verpflichtungen auferlegen. Wenn Staaten jedoch ein System eines Alternativen Dienstes einrichten, muss dieses System mit den internationalen Menschenrechtsnormen im Einklang stehen und sollte eine Möglichkeit bieten, das Menschenrecht auszuüben.

Kommen wir nun zu den Empfehlungen:

Erstens sollten die Staaten vermeiden, Einzelpersonen durch die Praxis des Antragsverfahren zur Kriegsdienstverweigerung direkt oder indirekt unangemessen auszuschließen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, da diese Art des Ausschlusses gleichbedeutend mit der Nichtanerkennung des Rechts für die ausgeschlossenen Personen sein könnte.

Es ist daher wichtig, daran zu erinnern, dass das Recht für Pazifist*innen wie selektive Verweiger*innen gilt, die der Überzeugung sind, dass die Anwendung von Gewalt unter bestimmten Umständen gerechtfertigt ist, unter anderen jedoch nicht.

Das Antragsverfahren sollte allen Personen offenstehen, die vom Militärdienst betroffen sind, einschließlich Militärdienstpflichtigen, Berufsangehörigen der Streitkräfte und Reservist*innen.

Regelungen des Alternativen Dienstes sollten allen Kriegsdienstverweiger*innen zugänglich sein, ohne Diskriminierung aufgrund ihrer religiösen oder nichtreligiösen Überzeugungen;

Militärdienstpflichtige wie auch Freiwillige sollten die Möglichkeit haben, vor dem Beginn des Militärdienstes oder in jeder Phase während oder nach dem Militärdienst zu verweigern.

Zweitens sollten die Staaten ein Verfahren gewährleisten, das dem Schutz des Rechts förderlich ist.

Gemäß Artikel 19 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte hat jeder Mensch das Recht auf Zugang zu Informationen. Dieses Recht erlegt den Staaten bestimmte Verpflichtungen auf, Informationen proaktiv öffentlich zu machen. Das Fehlen von Informationen kann ein großes Hindernis für die Ausübung von Rechten darstellen. Alle Personen, die vom Militärdienst betroffen sind, sollten daher Zugang zu Informationen über das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die Möglichkeiten haben, den Status als Verweiger*in zu erlangen.

Das Verfahren zur Beantragung des Status als Kriegsdienstverweiger*in sollte kostenlos sein, und es sollten für keinen Teil des gesamten Verfahrens Gebühren anfallen. Dies ist wichtig, um den Einzelnen nicht davon abzuhalten, seine Rechte aufgrund seiner sozioökonomischen Situation wahrzunehmen.

Die Staaten sollten in Erwägung ziehen, Anträge auf Kriegsdienstverweigerung ohne ein Prüfungsverfahren anzuerkennen. Staaten, die Anträge auf Kriegsdienstverweigerung nicht ohne ein Prüfungsverfahren anerkennen, sollten sicherstellen, dass die Prüfung durch eine unabhängige und unparteiische Stelle unter der Kontrolle von Zivilbehörden durchgeführt wird.

Die Verfahren sollten auf vernünftigen und relevanten Kriterien beruhen, um den Status als Kriegsdienstverweiger*in festzustellen. Das Prüfungsverfahren sollte so ausgestaltet sein, dass die Würde des Einzelnen geachtet wird. Unangemessene Eingriffe in die Privatsphäre der Antragsteller*innen müssen vermieden werden.

Die Staaten sollten auch keine Bedingungen setzen, die zum automatischen Ausschluss von Antragsteller*innen führen würden. Dies schließt beispielsweise unangemessene Fristen für die Einreichung eines Antrags, übermäßig hohe Anforderungen an die Dokumentation der Antragsteller*innen oder den Ausschluss von Personen mit Vorstrafen aus.

Das Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf Kriegsdienstverweigerung sollte zeitnah erfolgen.

Der dritte Punkt ist, dass während des laufenden Verfahrens alle Pflichten, die das Tragen von Waffen beinhalten, bis zur Entscheidung ausgesetzt werden sollten.

Viertens, zur Frage des Rechtes auf Berufung bei einer unabhängigen zivilen Justizbehörde nach einer Entscheidung über den Status als Kriegsdienstverweiger*in: Das Recht auf Zugang zu den Gerichten wird auch in Artikel 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) garantiert und ist wichtig, um die Vereinbarkeit des Verfahrens mit internationalem und innerstaatlichem Recht zu gewährleisten.

Fünftens muss der Alternative Dienst mit den Gründen für die Kriegsdienstverweigerung vereinbar sein, einen nicht-kämpferischen oder zivilen Charakter haben, im öffentlichen Interesse liegen und darf keinen Strafcharakter aufweisen.

Ich will einige Bemerkungen ergänzen zum öffentlichen Interesse und der Bedingung, dass der Alternative Dienst keinen Strafcharakter aufweisen darf:

Bei dieser Beurteilung geht es nicht nur darum, ob der Zweck des Alternativen Dienstes eine Bestrafung darstellt, sondern auch darum, ob der Alternative Dienst bei einer Gesamtbetrachtung tatsächlich eine Bestrafung darstellt.

Dabei ist zunächst die Dauer der Alternativdienstleistung zu prüfen. Es ist auch zu berücksichtigen, ob es vernünftige Gründe für Verzögerungen zwischen der Anerkennung des Status als Kriegsdienstverweiger*in und dem Beginn des Alternativen Dienstes gibt.

Dazu gehört auch eine Bewertung der Einsatzorte, der Bedingungen und der Behandlung der Alternativdienstleistenden. Es sollte sichergestellt werden, dass die Art des Alternativen Dienstes einen sinnvollen Beitrag zum öffentlichen Interesse leistet.

Die Behörden sollten auch darauf achten, dass ein übermäßiger Ermessensspielraum der Arbeitgebenden bei der Auferlegung von Beschränkungen für Alternativdienstleistende den Verdacht einer Strafbehandlung aufkommen lassen könnte.

Eine unterschiedliche Behandlung zwischen Militär- und Alternativem Dienst könnte eine unrechtmäßige Diskriminierung gemäß Artikel 26 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte darstellen, wenn sie nicht auf vernünftigen und objektiven Kriterien beruht.

Sechstens besteht die Verpflichtung, wirksame Rechtsmittel zu gewährleisten. Dies gilt für alle Verstöße. Das Recht auf wirksame Rechtsbehelfe setzt voraus, dass die Staaten ein fortgesetztes rechtswidriges Verhalten einstellen und die erforderlichen Schritte, einschließlich gesetzgeberischer und anderer Maßnahmen, unternehmen, um die Einhaltung der Verpflichtungen aus den internationalen Menschenrechtsnormen zu gewährleisten.

In diesem Zusammenhang sieht Art. 9 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte ein einklagbares Recht auf Entschädigung für alle vor, die unrechtmäßig festgenommen oder inhaftiert wurden.

Siebtens und letztens sollten die Staaten die gesellschaftliche Akzeptanz der Ausübung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung fördern. Wie unser Direktor auf dem intersessionalen Workshop über Kriegsdienstverweigerung feststellte, sollten die Behörden den entscheidenden gesellschaftlichen Wert des Alternativen Dienstes betonen. Zivile Funktionen sind wichtig und bleiben dies auch in Zeiten von Unsicherheit und bewaffneten Konflikten.

Wir hoffen, dass diese Empfehlungen bei den laufenden Diskussionen zur Bewertung des Alternativen Dienstes von Bedeutung sind.

Das Thema ist für uns wichtig, da die Kriegsdienstverweigerung der individuelle Ausdruck zweier grundlegender und universeller Werte ist, die von der Charta der Vereinten Nationen anerkannt werden: Sie bekräftigt die dem Menschen innewohnende Würde und den Wert der menschlichen Person und den Wunsch, gegenwärtige und zukünftige Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren.

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass unser bevorstehender Bericht an den Menschenrechtsrat Empfehlungen zu rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen zur Wahrung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung enthalten wird. Er wird dem Menschenrechtsrat auf seiner 56. Sitzung im Juni/Juli 2024 vorgelegt werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Daniel Møgster ist Human Rights Officer im Büro des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR)

Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR), 52, Rue des Pâquis, 1201 Genf, Schweiz, www.ohchr.org

Daniel Møgster: Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist absolut. Redebeitrag auf der Internationalen Konferenz „Kriegsdienstverweigerung in Asien - Analysen und Perspektiven“, 18. November 2023 in Seoul, Südkorea. Der Beitrag wurde veröffentlicht in der Broschüre „Internationale Konferenz Kriegsdienstverweigerung in Asien“, Herausgegeben von Connection e.V. in Kooperation mit World Without War und War Resisters International, März 2024

Stichworte:    ⇒ Ersatzdienst   ⇒ International   ⇒ Kriegsdienstverweigerung   ⇒ Südkorea