Jedes Jahr gibt es 35 bis 55 Totalverweiger*innen in Finnland

von Matias Kaskiluoto

(18.11.2023) Der Militärdienst in Finnland ist für alle Menschen zwischen 18 und 29 Jahren obligatorisch, deren rechtliches Geschlecht männlich ist. Diejenigen, die nicht in der Armee dienen wollen, können sich für den Ersatzdienst entscheiden, der auch als Zivildienst ("siviilipalvelus" auf Finnisch) bezeichnet wird. Unter bestimmten Bedingungen kann eine Ausmusterung erfolgen. Der Dienst für die Bewohner*innen der Åland-Inseln ist freiwillig. Der Zivildienst dauert 347 Tage, während der Militärdienst 165, 255 oder 347 Tage dauert, je nach Interesse der Rekrut*innen an den verschiedenen Ausbildungswegen. Der Zivildienst ist also etwa doppelt so lang wie der kürztmögliche Militärdienst in einem System, in dem Rekrut*innen eine gewisse Autonomie in Bezug auf die Dauer ihres Dienstes haben. Zivildienstleistende können nicht über die Dauer ihres Dienstes entscheiden, Rekrut*innen hingegen schon. Ein Militärdienst ohne Waffen muss mindestens 255 Tage abgeleistet werden. Ein Wechsel von der Armee zum Zivildienst ist möglich und verringert die Anzahl der Tage, die man im Zivildienst leisten muss entsprechend der Zeit, die man bereits in der Armee gedient hat. Die genaue Anzahl der Tage kann mit einer speziellen mathematischen Form berechnet werden, die den Ausbildungsweg berücksichtigt, den Soldat*innen in der Armee durchlaufen haben.

Die Verweigerung jedweder Form des Dienstes, auch bekannt als Totalverweigerung, führt zu einer Gefängnisstrafe in Höhe der Hälfte der verbleibenden Zeit, die im Ersatzdienst noch abzuleisten ist, also maximal 173 Tage. Bei einer Totalverweigerung in der Armee werden die verbleibenden Diensttage mit Hilfe der bereits erwähnten Formel in die Anzahl der Zivildiensttage umgerechnet und dieses Ergebnis wird dann durch zwei geteilt, um die Hafttage zu ermitteln. Die Bestrafung von Totalverweiger*innen wird meist als Hausarrest vollzogen und hinterlässt keinen Vermerk im Strafregister der betreffenden Person. Stattdessen wird eine Markierung im Gerichtsinformationssystem vorgenommen, die sich unter Umständen auf die Sicherheitsfreigabe der Person auswirken kann. Für einige Stellen in der Regierung kann eine solche Freigabe erforderlich sein. Die Eintragungen dürfen nicht mehr verwendet werden, wenn sie älter als 10 Jahre sind.

Bei Personen, die sich für eine Totalverweigerung entscheiden, ist es üblich, zunächst einen Antrag auf Ersatzdienst zu stellen und dann die Entlassung aus dem Dienst zu beantragen. Dies ist zum Teil auf die verfahrenstechnischen Schwierigkeiten zurückzuführen, die ein Verfahren vor einem Militärgericht mit sich bringt, wenn von vornherein die Absicht erklärt wird, jeden Dienst zu verweigern. Aber es ist auch eine politische Entscheidung, um den Strafcharakter des Ersatzdienstes zu unterstreichen. In den letzten Jahren gab es Fälle, in denen Zivildienstleistende ihre Absicht erklärten, am letzten Tag des Dienstes auszusteigen, um so eine tatsächliche Bestrafung bei der Berechnung der Haftstrafe zu vermeiden.

Insgesamt gibt es pro Jahr etwa 2.000 Personen, die sich für den Ersatzdienst entscheiden und 35-55 Totalverweiger*innen. Etwa ein Viertel aller Militärdienstpflichtigen werden vom Dienst befreit, zumeist aufgrund einer Ausmusterung. Manche Menschen nutzen diese Möglichkeit, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Das Militär hat in Kriegszeiten allerdings die Möglichkeit, diese neu einzuberufen. Aber das finnische Militär und das Zentrum für Zivildienst akzeptieren die Befreiungen und lassen diese Menschen bewusst gehen. Dafür gibt es einen Grund. In Finnland beträgt die Reserve an Soldat*innen im kriegstauglichen Alter etwa 870.000 Personen. Die die Zahl der Soldat*innen, die tatsächlich für einen Kampfeinsatz eingesetzt werden können – für die Finnland über Ausrüstung und andere Ressourcen verfügt – beträgt nur etwa 280.000 Personen. Wenn ein Land mit 5,5 Millionen Einwohner*innen fast 1 Millionen kampfbereite Soldat*innen hat on denen nur etwas mehr als eine Viertelmillionen Personen eingesetzt werden kann, stellen einige Tausend Menschen pro Jahr, die sich der Kriegsausbildung verweigern, keine große Gefahr für die nationale Sicherheit dar. 

Zu Beginn des Zivildienstes gibt es eine vierwöchige Ausbildung im Zentrum für Zivildienst, mit praktischem und theoretischem Unterricht, darunter: Bürgerbeteiligung, Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz, Umwelt und Gesellschaft. Seit der Covid-19 Pandemie wird diese Ausbildung weitgehend digital durchgeführt. Die meisten Zivildienstleistenden haben nur eine Woche Präsenzpflicht. Nach der Ausbildung arbeiten die Zivildienstleistenden 10,5 Monate lang an einem Arbeitsplatz ihrer Wahl. Der Zivildienst kann über eine Liste verfügbarer Stellen in der Region von Verweiger*innen angetreten werden und sie können zur Arbeit pendeln. Obwohl der Zivildienst in zahlreichen öffentlichen Einrichtungen wie Kindertagesstätten, Krankenhäusern, Pflegeheimen, (Universitäts-)Bibliotheken und in Friedensorganisationen geleistet wird, weist das Zentrum für Zivildienst darauf hin, dass die Zahl der Einsatzbereiche erhöht werden muss.

Die finnische Bewegung der Kriegsdienstverweigerung

Friedensaktivismus gab es in Finnland bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der erste finnische Totalverweigerer war Arndt Pekurinen, dessen Widerstand zur Einführung des Zivildienstes führte. Leider befreite der Zivildienst die Menschen damals nur in Friedenszeiten vom Militärdienst. Als Arndt Pekurinen sich 1941 während des Zweiten Weltkriegs weigerte, eine Waffe in die Hand zu nehmen, wurde er von der Armee hingerichtet.

Es gibt in Finnland nur wenige Organisationen, welche die die Militärdienstpflicht kritisieren. Eine davon ist die Union der Kriegsdienstverweiger*innen, die 1974 gegründet wurde. Wir führen Veranstaltungen durch, informieren über Alternativen zum Militärdienst, helfen Menschen, die nicht in der Armee dienen wollen, hinsichtlich rechtlicher Fragen, beobachten das finnische Militär, damit es keine groben Verstöße gegen unser nationales Recht begeht, setzen uns bei Politiker*innen dafür ein, dass die Rechte von Kriegsdienstverweiger*innen respektiert werden und nehmen an Regierungsausschüssen teil, die Gesetze vorbereiten.

Wie konnte das System des Zivildienstes verbessert werden? 

Alle Verbesserungen der Rechte von Kriegsdienstverweiger*innen wurden durch Aktivismus erreicht. 1931 wurde dank Arndt Pekurinen und vielen anderen pazifistischen Aktivist*innen das erste Zivildienstgesetz verabschiedet. Ab 1969 wurden neben religiösen und ethischen Argumenten auch politische Argumente als Grund für die Verweigerung des Militärdienstes anerkannt. 1987 wurde die Prüfungskommission, die mit fragwürdigen Methoden versuchte festzustellen, ob Militärverweiger*innen "echte Pazifist*innen" waren oder nicht, in Friedenszeiten abgeschafft. 2008 wurde das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch während des Krieges anerkannt, der Zivildienst wurde verkürzt, neue Arbeitsplätze wurden Zivildienstleistenden zur Verfügung gestellt.

Heutzutage gibt es mehrere Gesetze zum Schutz von Zivildienstleistenden. Wenn ein*e Rekrut*in zum Zivildienst wechseln möchte, muss der Antrag unverzüglich vom Militär bearbeitet werden. Vor kurzem wurde ein Offizier zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er den Antrag eines Rekruten auf Zivildienst nicht bearbeitet hatte. Arbeitgeber*innen und Bildungseinrichtungen dürfen Bewerber*innen, die den Militärdienst abgeleistet haben, nicht bevorzugen.

Herausforderungen

Immer noch werden diejenigen stigmatisiert, die sich für den Zivildienst entscheiden. Ein Teil der Öffentlichkeit ist ihnen, wie auch den Totalverweiger*innen und Personen, die sich dem Militärdienst entziehen, noch immer feindlich gesonnen. Zum Beispiel haben mich Fremde und Menschen, die ich seit vielen Jahren kenne, verspottet und eingeschüchtert, weil ich mich für den Zivildienst entschieden habe. Diese Situation hat sich im Laufe der Jahrzehnte etwas gebessert, vor allem in Großstädten.

Die Gleichstellung der Geschlechter dient als Vorwand für die Ausweitung der Militärdienstpflicht. Politiker*innen schlagen immer wieder vor, alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlechtseintrag zum Militärdienst zu verpflichten. Die Kriegsdienstverweigerungsbewegung weiß, dass dies nur eine Verschwendung von Geld und Ressourcen wäre, da die Reserve bereits so viel größer ist als die geplante Zahl der tatsächlich im Krieg einsetzbaren Soldat*innen. Sogar einige Offizier*innen des finnischen Militärs erkennen dies an und argumentieren gegen die Ausweitung der zum Militärdienst verpflichteten Personen. Die Kriegsdienstverweigerungsbewegung hat versucht, die Gespräche zur Ausweitung der Militärdienstpflicht zu behindern, indem sie Informationen verbreitete und sich an Regierungsausschüssen beteiligte, die diese Art von Änderungen behandelt.

Probleme bei Antragstellung und beim Zivildienst

Die Union der Kriegsdienstverweiger*innen hat Erfahrungen von Ratsuchenden gesammelt, die bei den Einberufungen nicht genügend Informationen erhalten haben. Bei Einberufungen sind Offizier*innen gesetzlich verpflichtet, Informationen über den Zivildienst zu geben, aber viele verstoßen gegen dieses Gesetz. Die Gewerkschaft verteilt seit Jahrzehnten Flugblätter, welche Militärdienstpflichtige über die Alternativen zum Militärdienst informieren.

Matias Kaskiluoto ist Mitglied von Aseistakieltäytyjäliitto, der Union der Kriegsdienstverweiger*innen Finnland.

Aseistakieltäytyjäliitto, www.akl-web.fi

Matias Kaskiluoto: Jedes Jahr gibt es 35 bis 55 Totalverweiger*innen in Finnland. Redebeitrag auf der Internationalen Konferenz „Kriegsdienstverweigerung in Asien - Analysen und Perspektiven“, 18. November 2023 in Seoul, Südkorea.

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