Die geöffnete Tür ist noch unbekannt und zu schmal

von Shi-woo

(18.11.2023) Eine der spannendsten Fragen, die Jan-Gil Wang aufwirft ist, warum die Zahl der Kriegsdienstverweiger*innen auch nach Einführung des Alternativdienstgesetzes gleichgeblieben ist. Es ist noch nicht lange her, dass jede*r einzelne Kriegsdienstverweiger*in für schuldig befunden wurde und im Gefängnis sitzen musste. Das hielt viele davon ab, an Kriegsdienstverweigerung zu denken. Das hat zu der berechtigten Erwartung geführt, dass nach der Einführung des neuen Gesetzes mehr Menschen bereit sind, ihre Kriegsdienstverweigerung zu erklären, ohne Angst vor einer Bestrafung zu haben. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass dies nicht der Fall ist. Ich denke, dass wir hier genauer hinschauen müssen.

Das derzeitige Gesetz wurde nicht entworfen, um möglichen Kriegsdienstverweiger*innen genügend Zeit zu geben, ihre Gedanken zu ordnen, ihnen zu helfen, ohne Angst eine Entscheidung zu treffen, die mit ihrer Überzeugung übereinstimmt. Mit anderen Worten, das Ziel der Gleichstellung gegenüber Soldat*innen im aktiven Dienst und nicht der Schutz der Gewissensfreiheit ist das Wesen des Alternativdienstgesetzes. Ich halte es nicht für kühn zu sagen, dass das Gesetz mit dem Ziel verabschiedet wurde, Unzufriedene aus dem konservativen Lager zu besänftigen, statt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu garantieren.

Wir alle wissen, dass gutes Essen von guten Zutaten und einem warmen Herzen kommt. Mit schlechten Zutaten und einem kalten Herzen können wir nicht anders, als schlecht essen. Dies könnte auch auf die Politik angewandt werden. Was den Alternativdienst betrifft, so ist es ein perfektes Rezept mit katastrophalen Folgen, wenn vorgeschrieben wird, dass Verweiger*innen ohne Ausnahme drei Jahre lang in einer Justizvollzugsanstalt arbeiten und leben müssen. Die Tatsache, dass die Zahl der Kriegsdienstverweiger*innen unabhängig von der Einführung des Gesetzes gleichbleibt, zeigt uns, dass das bestehende Gesetz kaum besser ist als die gesetzliche Strafe.

Wir können uns einige Details des aktuellen Gesetzes anschauen. Zunächst einmal gibt es immer noch viele Menschen, die nicht wissen, dass das Gesetz eingeführt wurde. Und es wird angenommen, dass nur bestimmte Personen wie die Zeug*innen Jehovas den Alternativdienst beantragen können. Das Gesetz schreibt vor, dass Kriegsdienstverweiger*innen den Alternativdienst mindestens fünf Tage vor dem Einberufungstermin beantragen müssen. Das hindert nicht nur diejenigen an einer Antragstellung, die bis zu diesem Termin nur darüber nachdenken, einen Antrag zu stellen, sondern auch diejenigen, die beim Militär sind und später feststellen, dass dies nie ihre Option sein könnte. Wir können sagen, dass dem Friedensaktivismus in Südkorea endlich eine neue Tür geöffnet wurde, aber sie ist noch nicht bekannt und zu schmal.

Das Gleiche gilt für die Antragstellenden. Nach dem geltenden Gesetz müssen sie sich einer Prüfung unterziehen. Jede*r muss übermäßig viele und irrelevante Dokumente vorlegen, z.B. Zeugnisse der Mittel- und Oberstufe oder Bürgschaftserklärungen von mehr als drei nahen Bekannten. Die Antragsteller*innen fühlen sich entmutigt, weil sie an der hohen Hürde scheitern werden. Vor allem für diejenigen, die keiner bestimmten Religionsgemeinschaft angehören oder keine ausreichenden Zusatzdokumente vorlegen können, ist die Prüfung in der Regel sehr viel strenger. Bislang haben mehr als 90 Prozent, die den Zeug*innen Jehovas angehören, die Prüfung bestanden, während die Hälfte der anderen Antragsteller*innen, die nicht den Zeug*innen Jehovas angehören, abgelehnt wurde.

Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit der Prüfung ist die Zusammensetzung des Ausschusses der Kommission für den Alternativdienst. Das Gesetz wurde vor kurzem so überarbeitet, dass Militärangehörige der Ausschüsse, die vom Ministerium für Nationale Verteidigung, dem*der Beauftragten für die Verwaltung des Militärpersonals und dem Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung empfohlen werden, dort die Mehrheit stellen. Es wäre naiv zu glauben, dass die Kommission einen vom Militär unabhängigen Status hat. Nach zahlreichen Diskussionen und Überlegungen hat die Kommission vorgeschlagen, die Dienstzeit zu verkürzen und die Arbeitsbereiche zu erweitern. Aber schon am nächsten Tag erklärte der Kommissar der Militärverwaltung öffentlich, dass er nicht vorhabe, den Vorschlag zu prüfen. Der unabhängige Status der Kommission besteht nur dem Namen nach. Da es keine zweite Instanz für abgelehnte Anträge gibt, müssen die Betroffenen den Rechtsweg beschreiten. Sie haben keine andere Wahl, als das Verfahren zu gewinnen oder sich einer gerichtlichen Verfolgung auszusetzen. Das derzeitige Gesetz ohne Rechtsbehelfsverfahren ist dringend reformbedürftig.

Was ist mit denjenigen, die die strenge Prüfung bestanden haben? Es gibt eine lange Schlange von Menschen, die auf den Beginn des Alternativdiensts warten, obwohl sie anerkannt wurden. Keiner weiß, wann die Wartezeit vorbei ist. Technisch gesehen ist es durchaus möglich, dass sie mehr als zehn Jahre warten müssen. Wenn es sich um Arbeitnehmende des öffentlichen Dienstes handeln würde, würden sie nach drei Jahren von der Ableistung des Militärdienstes befreit werden. Das Alternativdienstgesetz sieht dagegen keine solche Freistellung vor. Egal wie verzweifelt man ist, man kommt nicht umhin, bis zum achtundzwanzigsten Lebensjahr zu warten, um unbedingt eine Chance zu bekommen, Alternativdienst zu leisten.

Nach einer langen Wartezeit müssen Kriegsdienstverweiger*innen in der Justizvollzugsanstalt leben und arbeiten. Soweit ich weiß, ist Südkorea das einzige Land, in dem der Alternativdienst ausschließlich in einer Justizvollzugsanstalt abgeleistet werden kann. Es gibt keine rationale Grundlage für eine solche Beschränkung. Die Beschränkung wurde vorgenommen, weil das Personal des Alternativdiensts an bestimmten Orten leben und arbeiten müsse und die Justizvollzugsanstalt praktisch die einzige Option sei. Das impliziert, dass der Schutz und die Förderung der Gewissensfreiheit nie ein Thema waren.

Auch die Dienstzeit ist zu lang. Alternativdienstleistende sollen doppelt so lange dienen wie Soldat*innen. Man könnte sagen, dass die lange Dienstzeit von 3 Jahren nicht nur unangemessen ist, sondern auch Strafcharakter hat. Das Gleiche gilt für die Dienstform. Alternativdienstleistende haben keine Möglichkeit, außerhalb der Justizvollzugsanstalt zu leben oder zu pendeln, unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder Kinder haben. Das ist eine diskriminierende Politik, angesichts dessen, dass das Militärdienstgesetz zugleich die Versetzung aktiver Soldat*innen mit einem Kind in den Reservedienst garantiert, mit dem Pendeln möglich ist. Ein weiteres großes Problem des Lebens in einer Justizvollzugsanstalt besteht darin, dass sich die Einzelnen an das hohe Maß an Disziplin und Ordnung halten müssen, das in der Sicherheitseinrichtung herrschen soll. Auch in ihrer Freizeit müssen sich Alternativdienstleistende an strenge Regeln und Vorschriften halten, die denen der Gefangenen ähneln.

Wir müssen uns auch mit den Aufgaben des Dienstes befassen. Was Alternativdienstleistende tun, ist fast dasselbe, was die Kriegsdienstverweiger*innen früher als Häftlinge getan haben. Der Alternativdienst wurde eingeführt, um die öffentlichen Interessen zu fördern und die Gewissensfreiheit zu schützen, indem man denjenigen, die bereit sind, ihre Pflichten außerhalb des Militärs zu erfüllen, die Möglichkeit gibt, einen öffentlichen Dienst zu leisten. Es scheint, dass die Regierung den Alternativdienst eingeführt hat, weil das Verfassungsgericht dies so entschieden hat, aber was die Regierung getan hat, ist der Bau und die Umgestaltung von Wohnheimen für Alternativdienstleistende ohne jegliche Philosophie, die den Alternativdienst leiten sollte. Die begrenzten Zuständigkeiten für den Dienst, denen es an öffentlichem Interesse mangelt, zeigen, dass man sich bei der Gestaltung und Umsetzung des Alternativdienstes nicht besonders viel Mühe gegeben hat.

Kürzlich hat das Justizministerium die Zuständigkeiten in den Justizvollzugsanstalten ausgeweitet. In einer Pressemitteilung teilte es mit, dass es die Empfehlung der Nationalen Menschenrechtskommission akzeptiert und seine Politik dahingehend verbessert habe, dass Alternativdienstleistende ihre Erfahrungen und Fähigkeiten einsetzen können. Das klingt positiv, aber wir müssen genauer hinsehen. Im Mittelpunkt dieser Änderung stehen nicht die Alternativdienstleistenden, die ihr Talent und ihre Energie nutzen wollen, sondern die aufgrund des chronischen Arbeitskräftemangels gestressten Strafvollzugsbeamt*innen. Das heißt, die Regierung versucht, Alternativdienstleistende als verfügbare Ressource zu mobilisieren, um kein Geld für die Einstellung weiterer Strafvollzugsbeamt*innen auszugeben. Daher wird von den Alternativdienstleistenden erwartet, dass sie ohne Rechtsgrundlage zur Bewachung der Gefangenen beitragen. Man könnte sagen, dass die Aufgaben der Alternativdienstleistenden zwischen der Erledigung von Aufgaben der Insass*innen und der Bewachung durch Justizvollzugsbeamt*innen schwanken.

Die militaristische Kultur in den Justizvollzugsanstalten ist eines der größten Probleme. Die Alternativdienstleistenden stehen unter hohem Druck, jeden Tag die gleiche Disziplin zu wahren wie Soldat*innen oder Häftlinge. Das kann dazu führen, den Ermessenspielraum zu missbrauchen. Die Vorgesetzten tragen die Verantwortung für die Verwaltung des Dienstes, sie sind nicht verpflichtet, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Alternativdienstleistenden zu verbessern. Infolgedessen sind die Disziplinregelungen, die Behandlung der Alternativdienstleistenden und die Politik der Dienstverwaltung in den einzelnen Justizvollzugsanstalten nicht einheitlich.

Heute haben wir den Alternativdienst in Südkorea unter verschiedenen Aspekten untersucht, von der Antragstellung bis zum Sold. Ich denke, es ist wirklich schwer, im Vergleich zu anderen Ländern das Gute am aktuellen Gesetz zu finden. Ich muss leider sagen, dass es nicht im Einklang mit den Menschenrechtsprinzipien zu funktionieren scheint. Die rechtliche Anerkennung der Kriegsdienstverweigerung und die Einführung des Alternativdienstgesetzes sind sicherlich eine bahnbrechende Veränderung, aber ich glaube, dass wir sofort einen Schritt weiter gehen müssen.

Ich beginne mit meiner Eingangsfrage, warum die Zahl der Kriegsdienstverweiger*innen auch nach der Einführung des Alternativdienstgesetzes gleichgeblieben ist. Diese Frage können wir jetzt beantworten. Die Zahl bleibt gleich, weil das derzeitige Gesetz diejenigen, die sich auf eine nicht-militärische Weise für das öffentliche Interesse engagieren wollen, entmutigt und abweist, statt sie zu ermutigen oder willkommen zu heißen. Eine Chance zu bieten, indem eine winzige Tür geöffnet wird, durch die nur einige wenige gehen können, ist nicht dasselbe wie die Förderung von Rechten, die einen breiten Weg ebnen, den jede*r beschreiten kann.

Der Alternativdienst muss noch in vielerlei Hinsicht reformiert und verbessert werden. Wenn ich jedoch auf eine Sache hinweisen soll, dann dies: Die Ausweitung des Dienstleistungsbereichs sollte oberste Priorität haben. Das derzeitige Gesetz bleibt eine extrem verschlüsselte und exklusive Maßnahme für sehr wenige, was den Hauptzweck der Einführung des Alternativdiensts untergräbt, nämlich den Schutz und die Förderung der Gewissensfreiheit für alle, nicht nur für bestimmte Gruppen mit religiösem Hintergrund. Die Auferlegung eines dreijährigen Dienstes hat an und für sich schon einen strafenden Charakter, aber schlimmer ist, dass sich die Alternativdienstleistenden nicht bestärkt fühlen, wenn sie drei Jahre lang sinnlose Arbeiten verrichten. Ich kenne jemanden, der ein Jahrzehnt lang einen Strafprozess durchstehen musste, nur um als Alternativdienstleistender dieselbe Arbeit zu verrichten, die viel kürzer gewesen wäre, wenn er seinen Prozess verloren hätte. Einige erfuhren später, dass ihr*e Partner*in und ihre Kinder einen Autounfall hatten und operiert werden mussten, und einige konnten nicht bei ihren Angehörigen sein, als diese starben, weil die Beamt*innen der Dienststellenleitung ihnen nicht erlaubten, sie zu besuchen. Das alles passiert gerade jetzt.

Wenn den Alternativdienstleistenden die Möglichkeit gegeben würde, in verschiedenen Bereichen von öffentlichem Interesse zu arbeiten, könnten sie erleichtert und sogar stolz darauf sein, dass sie etwas Wertvolles tun, das eines langen Gerichtsverfahrens oder einer strengen Prüfung würdig ist. Sie sind bereit, an verschiedenen Orten ihren Dienst zu leisten, aber die Regierung ist nicht bereit, den Alternativdienst im eigentlichen Sinne umzusetzen.

Der Alternativdienst sollte nicht nur eine Alternative zum Militärdienst, sondern auch zum Gefängnisleben sein. Die Regierung muss dem Alternativdienst Bereiche jenseits der hohen Mauern einer Justizvollzugsanstalt eröffnen, indem sie den Alternativdienstleistenden die Möglichkeit gibt, Arbeiten im öffentlichen Interesse zu verrichten, wie z.B. Sozialarbeit, die Förderung der öffentlichen Gesundheit oder die Förderung der sozialen Integration. Die Diversifizierung der Dienstbereiche sollte mit einer Verkürzung der Dienstzeit und der Möglichkeit, zu pendeln, einhergehen.

Manchmal frage ich mich, ob der derzeitige Alternativdienst nur einen Schritt von einer strafrechtlichen Verfolgung entfernt ist. Aber ich freue mich, sagen zu können, dass diese Konferenz einer der wichtigsten Ansatzpunkte für Verbesserungen ist. Ich hoffe, dass sie einen wichtigen Impuls für den Gedankenaustausch und die gemeinsame Entwicklung von Strategien geben wird. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Shi-woo arbeitet im Institute for Gender and Culture in Südkorea

Institute for Gender and Cultures, www.facebook.com/Genculstudies

Shi-woo, Institute of Gender and Culture: Die geöffnete Tür ist noch nicht bekannt und zu schmal. Redebeitrag auf der Internationalen Konferenz „Kriegsdienstverweigerung in Asien - Analysen und Perspektiven“, 18. November 2023 in Seoul, Südkorea. Der Beitrag wurde veröffentlicht in der Broschüre „Internationale Konferenz Kriegsdienstverweigerung in Asien“, Herausgegeben von Connection e.V. in Kooperation mit World Without War und War Resisters International, März 2024

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