Fahrraddemo in Seoul zum Internationalen Tag der KDV 2017. Foto: Flickr/World Without War

Fahrraddemo in Seoul zum Internationalen Tag der KDV 2017. Foto: Flickr/World Without War

Südkorea: Nach historischem Durchbruch gibt es für Kriegsdienstverweigerer nun neue Herausforderungen

von Yongsuk Lee

(26.02.2019) Das südkoreanische Verteidigungsministerium legte am 28. Dezember 2018 einen Gesetzentwurf für einen alternativen Dienst vor, nachdem im Juni das Verfassungsgericht eine historische Entscheidung getroffen und entschieden hatte, dass das bestehende Gesetz die Gewissensfreiheit nicht garantiert.

Das Gerichtsurteil – ein großer Sieg für die Bewegung zur Kriegsdienstverweigerung in Südkorea – löste eine heftige Debatte über das Thema aus. Es gab greifbare Erfolge, beispielsweise, dass der Oberste Gerichtshof am 1. November 2018 zum ersten Mal einen Kriegsdienstverweigerer als unschuldig ansah. Allerdings beginnt nun erst der Kampf um die Ausgestaltung eines alternativen Dienstes.

Koreaner*innen glauben fest daran, dass die militärische Macht angesichts der langen Geschichte von ausländischer Besatzung und Krieg zur Verteidigung des Landes benötigt wird. Korea war vor hundert Jahren 35 Jahre lang Kolonie des Nachbarlandes Japan. Nach der Befreiung führten die beiden Koreas drei Jahre lang einen kompromisslosen Krieg. Immer wieder gibt es seitdem militärische Konflikte unterschiedlicher Intensität.

Die Entscheidung des Gerichts ist bedeutsam, wenn man bedenkt, wie das Thema in der letzten Zeit im Land diskutiert wurde. Während der Demokratiebewegung gegen die Militärdiktatur in den 1980er Jahren gab es keine politischen Kriegsdienstverweigerer. Zu dieser Zeit waren Studenten- und Arbeiterbewegung, die die Demokratiebewegung anführten, berühmt für ihre militaristische Kultur.

Zwar gab es mehr als 19.000 Zeugen Jehovas, die seit 1945 wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung inhaftiert worden waren, aber erst die politischen Kriegsdienstverweigerer und Friedensaktivist*innen machten es zu einem gesellschaftlichen Thema. Mehr als 15 Jahre des Widerstandes gegen den Militärdienst führte nun zu dieser Entscheidung der Justiz, die als die konservativste Institution in der koreanischen Gesellschaft gilt.

Strategien zum Erfolg

Der wichtigste Faktor für die kürzlich ergangenen Gerichtsurteile ist, dass die Kriegsdienstverweigerer nicht aufgaben und immer wieder die Kriegsdienstverweigerung als gesellschaftliches Thema in den Vordergrund gestellt haben. Insbesondere politische Verweigerer haben sich sichtbar in die Öffentlichkeit gestellt und engagiert ihren Pazifismus vertreten. Durch unterschiedliche Taktiken wie Durchführung von Pressekonferenzen, Feste mit Unterstützer*innen – gelang es ihnen, ihre Geschichten der Verweigerung des Militärdienstes zu einer sozialen Bewegung zu machen.

Im Zentrum dieser Bewegung steht die Organisation für die ich arbeite: World Without War. Sie wurde 2003 von Kriegsdienstverweigerern und Friedensaktivist*innen gegründet, um Kriegsdienstverweigerer zu unterstützen und die Einführung eines alternativen Dienstes einzufordern. World Without War berät diejenigen, die über die Verweigerung des Militärdienstes nachdenken. Die Organisation arbeitet auch gemeinsam mit Kriegsdienstverweigerern daran, die Ideen in die koreanische Gesellschaft hineinzutragen. In aller Regel stehen die Personen, die keinen Militärdienst leisten wollen, in Verbindung mit World Without War. Zugleich waren es dieselben Personen, die nach ihrer Erklärung zur Kriegsdienstverweigerung ins Gefängnis gingen.

In der ersten Zeit der Kampagne sprach World Without War vor allem über die Einrichtung eines alternativen Dienstes und nicht so sehr, wie verhindert werden kann, dass Kriegsdienstverweigerer ins Gefängnis geschickt werden. Nach der US-Invasion in den Irak 2003, zu der auch koreanische Soldaten für den Kampf entsandt wurden, wurde die Teilnahme an der Kampagne zur Kriegsdienstverweigerung mehr und mehr als Teil eines zivilen Ungehorsams gegen staatliche Gewalt angesehen. Das stärkte die Friedensbewegung und veranlasste die Menschen, das Militär auch aus anderen und unterschiedlichen Gründen heraus abzulehnen.

Soldaten verweigerten den Militärdienst, nachdem sie Zeuge davon wurden, wie staatliche Gewalt gegen Protestierende eingesetzt wurde bzw. als Soldaten zum Kampf in ungerechte Kriege entsandt wurden; Feministinnen erklärten ihre Verweigerung um das vom Militär verdreht propagierte Verständnis von Männlichkeit auszuweiten und neu zu definieren; Queer-Aktivist*innen verweigerten sich den Normen von Geschlecht und sexueller Orientierung, die ihnen vom Militär vorgegeben werden, als sie gemeinsam mit World Without War ihre Kriegsdienstverweigerung öffentlich machten.

World Without War weitete auch die Kontakte auf internationaler Ebene im Rahmen der Kriegsdienstverweigerungskampagne aus. Internationale Friedensbewegungen wie die War Resisters‘ International gaben wichtige Ratschläge und halfen bei der Organisierung und Durchführung von Kampagnen seit Beginn der koreanischen Bewegung. Da in der koreanischen Zivilgesellschaft die Verweigerung des Militärdienstes unbekannt ist, war für uns die internationale Solidarität eine Oase in der Wüste. Strategien für Kampagnen und Fallstudien aus anderen Ländern waren von großem Nutzen. World Without War sorgte auch für Berichte und Stellungnahmen an die Vereinten Nationen und andere internationale Institutionen. Gerade internationales Recht und internationale Menschenrechtsvereinbarungen spielten eine herausragende Rolle, um die Justiz zu einer positiven Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung zu bewegen.

2007 entschied die Regierung unter Roh Moo-hyun einen alternativen Dienst einzuführen. Die Entscheidung wurde aber vom Verteidigungsministerium zurückgenommen, nachdem die konservative Regierung unter Lee Myung-bak an die Macht kam. Angesichts des Rückschlags breitete sich bei den Aktivist*innen Hilflosigkeit aus. Sie hatten alles getan, was in ihrer Macht stand: jede Art von Straßenaktionen, Lobbyarbeit in das Parlament hinein, Organisieren der internationalen Unterstützung und Einbeziehung der internationalen Institutionen. Angesichts der koreanischen politischen Landschaft war es fraglich, ob es überhaupt eine Änderung geben könnte solange die konservative Regierung an der Macht bleibt. Die Aktivist*innen waren müde, entmutigt und hatten darüber hinaus den Faden verloren, was sie tun wollen und können.

Um über Aktivitäten und neue Kampagnen nachzudenken, lud World Without War mit Hilfe der War Resisters‘ International zu einem gewaltfreien Training nach dem Bill Moyer’s Movement Action Plan ein. Das erwies sich als eine Initiative zur rechten Zeit und sehr notwendig für die an der Kampagne Beteiligten. Das Training ermöglichte den Aktivist*innen wieder Kraft zu schöpfen. Es konnte ihre Bedenken und Ängste verringern, weil sie lernten, dass soziale Bewegungen eine lange Ausdauer haben müssen und weil sie Strategien für kurz- und langfristige Ziele entwickeln konnten. Zudem konnten alle Aktivist*innen ihre Rollen innerhalb einer sich auf dem Weg zum Erfolg befindlichen Kampagne neu definieren.

Frauen hatten auch einen großen Einfluss auf die koreanische Kriegsdienstverweigerungsbewegung. Da der Militärdienst nur für Männer verpflichtend ist, hatten Frauen selbstverständlich die Führungsrollen übernommen, während die Männer inhaftiert waren. Das hat den Aktivistinnen ermöglicht, die Kampagne gegen den Militärdienst in Korea in die Hand zu nehmen, was auch zu einer Entwicklung beigetragen hat, die Bewegung gleichberechtigt und demokratisch werden zu lassen. World Without War tappte also nicht in die Falle, die so oft mit Bewegungen zur Kriegsdienstverweigerung verbunden sind, wie der Heroisierung der männlichen Verweigerer.

Notwendige Schritte nach dem begrenzten Erfolg

Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts wird die Einführung eines alternativen Dienstes nun Realität. Einige Vertreter*innen des Verteidigungsministeriums und der Regierung haben jedoch kein Interesse daran, dass der alternative Dienst den Menschenrechtsstandards entspricht. Die konservative Partei zum Beispiel argumentiert, dass der alternative Dienst als Form der Bestrafung genutzt werden sollte.

Das vom Ministerium am 28. Dezember 2018 vorgeschlagene System verlangt von den Alternativdienstleistenden, dass sie doppelt so lange Dienst leisten sollen, wie die Militärdienstleistenden. Es beschränkt den Dienstort auch auf die Gefängnisse. Wenn diesem Vorschlag gefolgt wird, wird er wohl kein Weg sein, um die Freiheit des Gewissens zu erweitern oder den Militarismus zu schwächen. Er ist vielmehr eine andere Möglichkeit, um Kriegsdienstverweigerer zu bestrafen.

World Without War arbeitet daher nun daran, gemeinsam mit anderen Organisationen der Zivilgesellschaft, sicherzustellen, dass der von der Regierung vorgeschlagene alternative Dienst eine menschenrechtsfreundlichere Gestalt erhält und keinen Strafcharakter aufweist. Derzeit werden Kampagnen organisiert, um Druck auf das Verteidigungsministerium auszuüben und die Regierung davon zu überzeugen, aber auch die öffentliche Meinung zur Kriegsdienstverweigerung zu verbessern.

Mit Hilfe von Joomin Park – Mitglied des Parlaments, Menschenrechtsanwalt und Befürworter der Kriegsdienstverweigerung – wird World Without War eine Liste von Abgeordneten erstellen, die vielleicht überzeugt werden können. An sie soll sich eine Kampagne richten, sowohl online wie auch im direkten Kontakt. Geplant ist auch, Beispiele von alternativen Diensten aus anderen Ländern einzubringen, um die eigene Position stärker zu machen.

World Without War ist sich sehr wohl den grundsätzlichen Beschränkungen eines alternativen Dienstes bewusst und bereitet sich schon darauf vor, nach Einführung des Dienstes wieder stärker antimilitaristisch aktiv zu werden. Aktivist*innen haben bereits Seminare und Diskussionsrunden dazu organisiert. In den kommenden Monaten werden Seminare durchgeführt werden, um Ziele und Strategien für World Without War über die Frage des alternativen Dienstes hinaus zu entwickeln.

Yongsuk Lee: After historic breakthrough, conscientious objectors face new challenges in South Korea. 26. Februar 2019. https://wagingnonviolence.org/feature/movement-conscientious-objection-south-korea-faces-challenges/. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe April 2019.

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