Aktion zur Kriegsdienstverweigerung in Seoul

Aktion zur Kriegsdienstverweigerung in Seoul

Südkorea: Kriegsdienstverweigerer einberufen ins Gefängnis

von Rudi Friedrich

(01.10.2020) Am 30. Juni 2020 wurden in Südkorea die ersten 35 Anträge von Kriegsdienstverweigerern von einem 29-köpfigen Ausschuss geprüft. Sie sollen im Oktober 2020 ihren 3-jährigen Dienst antreten. Zugleich legte der Ausschuss Kriterien für die Überprüfung weiterer Anträge fest. Das berichteten die Zeitungen The Korea Herald und The Diplomat.1

Über Jahrzehnte hinweg wurden in Südkorea Kriegsdienstverweigerer verfolgt. In den letzten 68 Jahren waren fast 20.000 Kriegsdienstverweigerer im Gefängnis, die insgesamt fast 37.000 Jahre Haft verbüßten. In der Regel wurden sie zu 18 Monaten Haft verurteilt. Das endete erst mit Urteilen des Verfassungsgerichtes und des Obersten Gerichtshofes 2018 und 2019. Das Verfassungsgericht sah das Militärdienstgesetz als verfassungswidrig an, weil es keine alternative Möglichkeit des Dienstes für Kriegsdienstverweigerer vorsah und ordnete an, dass bis Ende 2019 eine Gesetzesänderung erfolgen müsse.2 Die Gesetzesänderung kam Ende Dezember 2019.3

Der im Juni 2020 erstmalig zusammengetretene Ausschuss untersteht dem Verteidigungsministerium. Er besteht aus 29 Personen, die sich zusammensetzen aus Abgeordneten, Rechtsanwälten, Juristen und Militärs. „Die Antragsteller müssen zeigen, dass sie beständig der Lehre ihrer Religion oder ihrer persönlichen Überzeugung an Gewaltfreiheit folgen. Nach Angaben des Ministeriums werden Nachweise wie Schulberichte, Vorstrafenregister und eidesstattliche Erklärungen von Bekannten zur Prüfung herangezogen.“ Der Ausschuss werde „die eingereichten Beweise prüfen, zusätzliche Informationen über den Ruf des Antragstellers einholen und nach Anzeichen von Widersprüchen suchen.“4 Gegen eine Entscheidung können Antragsteller einen Berufungsausschuss oder ein Gericht anrufen.

Nach einer Anerkennung haben die Kriegsdienstverweigerer einen 36-Monate dauernden Ersatzdienst abzuleisten. Das entspricht etwa der doppelten Länge des normalen Militärdienstes. Der beträgt für die Armee und das Marine Corps derzeit 18 Monate, für die Marine 20 Monate und 22 Monate für die Luftwaffe. Nach Amnesty International ist damit der Ersatzdienst in Südkorea der längste der Welt und als „alternative Bestrafung“ zu kennzeichnen.5

Zudem ist der Ersatzdienst in Haftanstalten des Landes abzuleisten, „wo ihre täglichen Aufgaben Wartung und Hygiene umfassen“.6 Sie werden in Gruppen in der Nähe der ihnen zugewiesenen Haftanstalten untergebracht und erhalten den gleichen Sold wie die Soldaten. Zudem werden sie nach ihrer Entlassung im Rahmen des Reservedienstes jährlich zu einem viertägigen Einsatz in einer Haftanstalt herangezogen. Diese Form des Ersatzdienstes ist einzigartig, eine Kasernierung in den Unterkünften ist nicht ausgeschlossen. Das Verteidigungsministerium redet zwar vage von der Möglichkeit, die Dienststellen auszuweiten. Fakt bleibt aber, dass der Einsatz in den Haftanstalten die Regel bleiben soll.

All diese Regelungen tragen die Handschrift der Hardliner des Verteidigungsministeriums, die nach den Urteilen des Verfassungsgerichtes alles daran setzten, die gesetzliche Regelung zur Kriegsdienstverweigerung, die Prüfung von Anträgen und die Ausgestaltung des Ersatzdienstes so restriktiv wie möglich und unter ihrer Kontrolle zu halten. Als Argument werden dafür gerne Umfragen oder Stellungnahmen von ehemaligen Soldaten herangezogen, die diese Position bestärken.7

Dabei ist der Einsatz der Ersatzdienstleistenden in Haftanstalten, und damit genau an dem Ort, an dem sie zuvor eine 18 Monate lange Haft zu verbüßen hatten, geradezu ein Affront gegen die Kriegsdienstverweigerer. Dieser Dienst ist nichts anderes als ein verlängerter Strafdienst.

Fußnoten

1 Choi Si-young, The Korea Herald: Criminalized for decades, conscientious objectors to begin alternative service. 22. Juli 2020. http://www.koreaherald.com/view.php?ud=20200722000747; Jenna Gibson: South Korea‘s Conscientious Objectors Are Getting an Alternative to Military Service. 9. Juli 2020. https://thediplomat.com/2020/07/south-koreas-conscientious-objectors-are-getting-an-alternative-to-military-service/

2 Jo He-rim, The Korea Herald: Südkorea – Weiter kein Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung. 23.9.2019. https://de.connection-ev.org/article:suedkorea-weiter-kein-gesetz-zur-kriegsdienstverweigerung

3 Amnesty International: Südkorea: Alternative zum Militärdienst ist für Kriegsdienstverweigerer eine neue Form der Bestrafung. 27.12.2019. https://de.connection-ev.org/article:suedkorea-alternative-zum-militaerdienst-ist-fuer-kriegsdienstverweigerer-eine-neue-bestrafung

4 Choi Si-young, ebd.

5 Amnesty International, ebd.

6 Choi Si-young, ebd.

7 ebd.

Rudi Friedrich: Südkorea - Einberufen ins Gefängnis. 1. Oktober 2020. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Oktober 2020

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