Aktion zur Kriegsdienstverweigerung in Seoul

Aktion zur Kriegsdienstverweigerung in Seoul

Südkorea: Weiter kein Gesetz zur Kriegsdienstverweigerung

von Jo He-rim

(23.09.2019) Über Jahrzehnte gab es in Südkorea ein System der Wehrpflicht, mit dem Kriegsdienstverweigerer kriminalisiert wurden. Sie entschieden sich, eher ins Gefängnis zu gehen, als Militärdienst abzuleisten, weil ihr Glaube ihnen das Tragen von Waffen verbietet. Ihr jahrzehntelanger Kampf endete im Juni 2018 mit der richtungsweisenden Entscheidung des Verfassungsgerichts, mit dem bei Tausenden von Kriegsdienstverweigerern der Stempel „schuldig“ aufgehoben werden sollte.

Das Gericht sprach in seinem Urteil davon, dass das Militärdienstgesetz verfassungswidrig ist, weil es keine alternative Möglichkeit des Dienstes für Kriegsdienstverweigerer vorsieht und ordnete gegenüber dem Gesetzgeber an, dass bis Ende 2019 ein neues Gesetz oder eine Gesetzesänderung in Kraft treten müsse.

Mehr als ein Jahr ist seit dem Urteil vergangen und die Nationalversammlung scheint sich erst jetzt zu beeilen, die vorgeschlagenen Gesetzentwürfe – insgesamt 18 – zu prüfen. Sie sehen unterschiedliche Formen eines alternativen Dienstes vor. Unter den Entwürfen gibt es auch einen der Regierung.

Regierungsvertreter sagen, dass wahrscheinlich bis Ende des Jahres ein Gesetzentwurf verabschiedet werden wird, um Verwirrung bei der Einberufung zu vermeiden. Aber es ist unwahrscheinlich, dass bis Anfang nächsten Jahres ein alternativer Dienst eingeführt sein wird. „Es ist bereits zu spät, um sich in den nächsten drei Monaten auf ein System des Ersatzdienstes zu einigen“, sagte Lee Nam-woo, Leiter des Personalstabes des Verteidigungsministeriums, gegenüber The Korea Herald. Er ergänzte, dass die Einführung in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 erfolgen könnte.

„Es gibt im ganzen Land noch 900 Gerichtsverfahren und eine noch größere Zahl von Personen wartet darauf, dass ein alternativer Dienst eingeführt wird“, sagte Baek Jong-keon, selbst Kriegsdienstverweigerer und Anwalt, der sich schon lange für die Rechte der Kriegsdienstverweigerer einsetzt. Baek verbüßte 15 Monate Haft und wurde im Mai 2017 entlassen. „Ich muss sagen, dass es sehr enttäuschend ist, dass mehr als ein Jahr vergangen ist ohne dass Fortschritte erzielt wurden und dass sich der Gesetzgeber erst jetzt angesichts der Frist bewegt.“

Ein alternativer Dienst darf keinen Strafcharakter aufweisen

In Südkorea sind alle tauglichen Männer im Alter zwischen 18 und 36 Jahren wehrpflichtig und haben einen etwa zweijährigen Dienst abzuleisten – 21 Monate sind es in der Armee, 23 Monate in der Marine und 24 Monate in der Luftwaffe. Nach dem aktuellen System gibt es nur wenige Ausnahmen. Wer ohne „berechtigten“ Grund verweigert, kann mit einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden.

Seit Jahrzehnten haben sich die Kriegsdienstverweigerer, es sind vor allem Zeugen Jehovahs, bemüht, der Gesellschaft klar zu machen, dass ihre Weigerung, den Militärdienst abzuleisten, kein Versuch ist, sich der Verantwortung zu entziehen. Über 19.350 wurden wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung zu Haftstrafen verurteilt.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums sind 99,3% der Verweigerer Zeugen Jehovahs. 0,7% gehören anderen Glaubensgemeinschaften an oder sind Pazifisten.

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichtes vom 28. Juni 2018 legte die Regierung einen Gesetzentwurf für einen alternativen Dienst vor, der vorsieht, dass Kriegsdienstverweigerer 36 Monate Dienst in Justizvollzugsanstalten ableisten sollen.

Aber die Debatte geht weiter, über die Form des alternativen Dienstes, wie lang er sein und wo er abgeleistet werden soll. Einer der Knackpunkte ist die Dauer des alternativen Dienstes. Vor dem Hintergrund der negativen Einstellung gegenüber „Drückebergern“ und Bedenken, dass der alternative Dienst missbraucht werden könnte, haben konservative Abgeordnete Gesetzentwürfe vorgelegt, die Kriegsdienstverweigerer dazu verpflichten würden, einen fünfjährigen Dienst abzuleisten.

Während einer parlamentarischen Anhörung am 19. September 2019 bekräftigten jedoch das Verteidigungsministerium und Expert*innen, dass der alternative Dienst keinen Strafcharakter haben solle. Zwar gibt es in Ländern mit einer Wehrpflicht keinen offiziellen Standard für einen alternativen Dienst, aber das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen erklärte, dass der alternative Dienst „mit den Gründen für die Kriegsdienstverweigerung, ob er nun zivilen Charakter hat oder als Nichtkombattant ausgeführt wird, vereinbar sein müsse und keinen Strafcharakter aufweisen darf.“ Das Komitee sagt auch, dass die Dauer des alternativen Dienstes nicht ohne gute Gründe die Dauer des Dienstes anderer Wehrpflichtiger übersteigen dürfe.

Das Ministerium argumentiert, dass der Vorschlag der Regierung für einen 36-monatigen Dienst dieses Kriterium erfüllt, da auch Wehrpflichtige, die ihren Dienst in Militärkrankenhäusern ableisten, zwischen 34 und 36 Monate Dienst abzuleisten haben.

Als Antwort auf die Kritik, dass der alternative Dienst nur in Strafanstalten abgeleistet werden könne, gab Dohkgoh Soon, stellvertretende Vorsitzende des Koreanischen Instituts für Verteidigungsanalysen an, dass dies darin begründet liege, dass dies die einzigen Regierungseinrichtungen seien, die nichts mit dem Militär zu haben. „Die Strafanstalten bieten auch die Möglichkeit der Unterbringung, was zur Fairness zwischen Militärdienstverpflichtung und der Freiheit des Gewissens beitrage“ so Dohkgoh bei der Anhörung. Ihre Position ist, dass Wehrpflichtige in Kasernen sind und es für sie unfair wäre, wenn andere Wehrpflichtige Freizügigkeit erhielten. Sie fügte jedoch hinzu, dass nach der vollständigen Einführung eines alternativen Dienstes andere Stellen überprüft werden könnten.

 

Ein langer Weg bis zur Einführung

Nach dem Gesetzentwurf der Regierung würde unter dem Verteidigungsministerium ein Ausschuss eingerichtet, der über die Kriegsdienstverweigerungsanträge beraten solle. Jedes Jahr könnten 600 Männer ihren alternativen Dienst ableisten. Die Einführung des neuen von der Regierung vorgeschlagenen Systems wird nach Angaben des Verteidigungsministeriums bis 2024 voraussichtlich 123,1 Mrd. Won (95 Mio. €) kosten.

Da weiterhin Bedenken bestehen, dass der alternative Dienst von Drückebergern missbraucht werden könnte, können sich noch alle Details des vorgeschlagenen Gesetzes im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ändern. Herr Lee vom Verteidigungsministerium bekräftigte jedoch, dass das von der Regierung vorgeschlagene System Drückebergerei verhindern werde. „Ich glaube, dass Personen, die keine starke Überzeugung mitbringen, keinen Grund haben werden, drei Jahre alternativen Dienst abzuleisten“, sagte Lee. „Ich kann auch nicht leugnen, dass es negative Einstellungen gegenüber denjenigen gibt, die nicht angemessen ihren Militärdienst ableisten. Ich glaube aber nicht, dass Ungläubige sich das gefallen lassen würden.“

Auch andere Probleme müssen angegangen werden. Das Strafregister von Personen, die bereits eine Haftstrafe verbüßt haben, wurde nicht gelöscht. Die bisherigen Diskussionen haben diese Frage beschönigt. Nach einem Gesetz, das sich damit befasst, werden die Einträge von Personen, die nicht länger als drei Jahre in Haft sind, nach fünf Jahren aus dem öffentlichen Strafregister entfernt. Einmal als geheim eingestuft, sind die Aufzeichnungen nur noch von Polizei und Strafverfolgungsbehörden einsehbar.

Nach Angaben der Militärverwaltung wurden in den letzten fünf Jahren 2.147 Kriegsdienstverweigerer angeklagt. 1.202 von ihnen wurden verurteilt, 26 freigesprochen. Bei weiteren 919 werden Verfahren vorbereitet oder sie warten auf die Prozesse.

Als erster Kriegsdienstverweigerer und Rechtsanwalt war Baek zunächst untersagt worden, zu praktizieren, da er eine Haftstrafe verbüßt hatte. Es war ihm erst im vergangenen Januar möglich, seinen Beruf auszuüben. Kriegsdienstverweigerer machen nach ihrer Haft oft die Erfahrung, dass sie sozial stigmatisiert sind und berufliche Nachteile erleiden. „Der beste Weg, um das Problem zu lösen, wäre die Verabschiedung eines Gesetzes. Wenn das nicht geschieht, könnte es eine Amnestie durch den Präsidenten geben, worauf ich hoffe“, sagte Baek.

Jo He-rim, The Korea Herald: Conscientious objectors wait for alternative service as legislators remain idle. 23. September 2019. Übersetzung: rf. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V. (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«, Ausgabe Dezember 2019.

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